10. Juni 2012

Das rote Licht des Mondes - Silvia Kaffke


Produktinfos:

Ausgabe: 2008
Seiten: 512
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Die Autorin:

Silvia Kaffke, geboren 1962 in Duisburg, studierte Publizistik und Germanistik und arbeitete u. a. als Sekretärin, Lektorin und im PR-Management. 2000 erschien ihr erster Krimi "Messerscharf" um die BKA-Profilerin Barbara Pross, der schon im Jahr darauf verfilmt wurde. Weitere Werke sind: "Herzensgut", "Totenstill" und "Blutleer".

Inhalt:

Ruhrort, 1854: Seit ihrer Kindheit hinkt Lina Kaufmeister wegen einer steifen Hüfte. Aufgrund dieses Gebrechens ist sie auch mit fünfunddreißig noch unverheiratet und bekommt trotz ihrer Lehrerinnenausbildung keine Anstellung. Stattdessen pflegt sie den schwerkranken Vater und erledigt für ihren herrischen Bruder Georg und dessen Frau den Haushalt. In ihrer Freizeit schneidert sie leidenschaftlich und mit viel Talent Kleider für Freunde und Familie. Insgeheim hofft sie, nach dem Tod ihres Vaters mit dem Erbe ein selbstständiges Leben führen zu können, doch sie fürchtet, dass ihr Bruder als offizieller Vormund das nicht erlauben wird.

Eines Abends entdeckt Lina auf dem Heimweg die Leichen zweier Mädchen. Beiden hat man das Herz aus dem Körper geschnitten, einem sogar ein ungeborenes Kind. Lina ist überzeugt davon, dass die Leichen kurz zuvor aus einer Kutsche geworfen wurden. Das hieße, dass ein wohlhabender Bürger dahintersteckt, doch der Bürgermeister drängt die Polizei dazu, sich nur auf reisende Schiffer zu konzentrieren.

Der neue Commissar Robert Borghoff übernimmt die Ermittlungen. Der ruhige, erfahrene Mann vertraut Linas Beobachtungen und hält sie über die Erkenntnisse auf dem Laufenden. In den nächsten Monaten werden weitere Frauen mit herausgeschnittenen Herzen gefunden, und die mutige Lina kommt gemeinsam mit Borghoff der Wahrheit gefährlich nah ...

Bewertung:

Nach vier Bänden über die BKA-Profilerin Barbara Pross widmete sich Silvia Kaffke einem historischen Krimi - und das mit viel Erfolg, denn der erste Band um Lina Kaufmeister aus Ruhrort ist bis auf kleine Schwächen sehr gut gelungen.

Überzeugende Charaktere

Es fällt dem Leser sehr leicht, die Hauptfigur Lina Kaufmeister ins Herz zu schließen. Lina ist ein sehr sympathischer Charakter, ohne dabei zu engelhaft zu wirken. Sie ist einerseits eine selbstbewusste Frau, die gern offen sagt, was sie denkt, und nicht so viel auf Konventionen gibt wie viele andere Damen der Gesellschaft. Ihre steife Hüfte allerdings hindert sie daran, sich wirklich schön zu finden, und immer wieder wird sie unangenehm daran erinnert, dass sie mit diesem Makel behaftet ist. Sie ist eine sehr intelligente Frau mit großem künstlerischen Talent, dabei sehr gütig, humorvoll und engagiert - sei es nun, dass sie auf der Suche nach dem Mörder nicht nachgibt oder eine fast schwesterliche Zuneigung zum jungen, immer etwas übereifrigen Dienstmädchen Finchen verspürt.

Sehr gut gelungen ist vor allem ihre dezente Emanzipation, denn Lina ist fortschrittlich, ohne dabei unrealistisch zu wirken oder zu sehr gegen den Zeitgeist zu verstoßen. Eine stimmige, interessante und sympathische Figur ist auch Commissar Borghoff. Der Ermittler ist schon etwas älter, und mit seinen angegrauten Haaren, der mittleren Statur und der Narbe über dem Auge kein Schönling, sondern ein sehr bodenständiger Mann mit leicht mysteriöser Ausstrahlung. Die Annäherung zwischen ihm und Lina ist dem Leser sehr schnell klar, geht aber nur ganz behutsam vonstatten, sodass die Handlung nie übermäßig romantisch oder gar kitschig wird. Auch die Nebenfiguren sorgen für Abwechslung in der Geschichte - der jähzornige Bruder Georg, der seiner Schwester untersagen will, das Haus zu verlassen, seine übergewichtige und bequeme holländische Frau Aaltje, die darunter leidet, regelmäßig Kinder ohne Überlebenschancen zu gebären, Linas Zwillingsschwester Mina, deren Mann Justus als politisch Radikaler gilt und sich nach London geflüchtet hat, und der historische Großunternehmer Franz Haniel mit seiner Frau "Fritze", zu denen Lina ein beinah familiäres Verhältnis pflegt.

Spannung und Atmosphäre

Die Handlung entwirft ein detailliertes Bild des Lebens in Ruhrort Mitte des 19. Jahrhunderts, gewährt Einblicke in schmutzige Hafenviertel wie in die Räume der gehobenen Gesellschaft, und vor allem Kenner des Ruhrgebiets werden ihre Freude am Lokalkolorit haben. Eine Karte mit den wichtigsten Orten und die Einbindung historischer Personen wie der erwähnte Franz Haniel, Bürgermeister William Weinhagen und weitere Figuren tragen zum authentischen Charakter bei. Mit Spannung verfolgt der Leser, welche Motive sich hinter den Morden verbergen, ob Lina in Gefahr gerät und wer aus ihrem Umfeld in die Taten verwickelt sein könnte. Die Lage spitzt sich zu, als eine Frau ermordet wird, die möglicherweise etwas zu den Ermittlungen beitragen könnte, Lina eine unheimliche Beobachtung macht und schließlich ein Kind aus ihrem Freundeskreis verschwindet.

Auch ihr persönliches Schicksal zieht in den Bann - nachdem sie gegen den Willen ihres Bruders das Elternhaus verlassen hat und versucht, sich eine eigene Existenz aufzubauen, hat sie seiner Ansicht nach Schande über die Familie gebracht und muss sogar fürchten, per Gerichtsbeschluss zurückgeschickt zu werden. Die Geschichte zeigt das düstere Leben der Frauen im 19. Jahrhundert, die trotz der Aufbruchstimmung der Industrialisierung dazu verdammt sind, von einem Mann abhängig zu sein, und Linas Platz in der Gesellschaft wäre der im Elternhaus, wo sie nach dem Tod des Vaters ihrem Bruder unterstellt wäre.

Nur kleine Schwächen

Wer sich auf eine spannende Krimihandlung freut, wird zwar nicht enttäuscht werden, muss aber ein wenig Geduld mitbringen. Die Handlung widmet sich zu weiten Teilen immer wieder ausführlich Linas Schicksal, ohne dass es in der Herzens-Mörder-Sache neue Erkenntnisse gäbe. Ein bisschen knapp kommt zudem das Ende daher. Es gibt eine wichtige Figur, über deren Verbleib man gern mehr erfahren hätte, vor allem aber wird Lina von einer ihr sehr nahestehenden Person getäuscht, worüber zu wenig Worte verloren werden.

Fazit:

Ein unterhaltsamer Historienkrimi, der ins Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts entführt. Die Charaktere sind sehr überzeugend, vor allem die Protagonistin ist sympathisch, die Handlung ist spannend und atmosphärisch. Abgesehen von nur kleinen Schwächen also eine Empfehlung für alle Historien- und Krimifreunde.

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