10. Juni 2012

Die Familie des Vampirs - A. K. Tolstoi

Produktinfos:

Erscheinungsjahr: 2004
Laufzeit: 75 Minuten
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Der Autor:

Graf Alexei Konstantinowitsch Tolstoi (1817-1875) war ein Cousin des weltberühmten Leo Tolstoi. Er wuchs in Sankt Petersburg auf und begleitete früh seinen Patenonkel auf Reisen ins Ausland. Er arbeitete zunächst im diplomatischen Dienst, ehe er erneut viele Reisen durch Deutschland, Italien und Frankreich unternahm und 1841 seine erste Erzählung "Der Vampir" veröffentlichte. Parallel zu seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete er noch einige Jahre im Dienste des Zaren, bevor er sich im Ruhestand ganz dem Schreiben von Romanen, Dramen und Gedichten widmete. Zu seinen Werken gehören u. a. "Don Juan", "Der Tod Iwans des Schrecklichen" und "Zar Fjodor Joannowitsch".

Inhalt:

Wien, 1815: Eine kleine Runde von Diplomaten versammelt sich nach dem Wiener Kongress auf einem Fest der Gräfin von Schwarzenberg und unterhält sich gegenseitig mit gruseligen Geschichten. Als der Marquis Serge d'Urfé an der Reihe ist, erzählt er ein Erlebnis aus seinem eigenen Leben: Im Jahr 1788 in Paris verliebt er sich in die schöne adelige Isabelle de Gramont, die sich aber nie eindeutig zu ihm bekennt. Um sie zu vergessen, tritt Serge bereitwillig eine diplomatische Reise nach Osteuropa an. Erst jetzt gesteht Isabelle ihm seine Liebe und schenkt ihm zum Abschied ein Kruzifix.

Serges Reise endet vorläufig in einem serbischen Dorf. Der harte Winter lässt die Donau teilweise zufrieren und verhindert eine Überfahrt. Von Wölfen verfolgt sucht er eine Bleibe für die Nacht und findet Schutz im Haus des alten Gortscha. Zu seiner Verwunderung sieht Zdenka, die Tochter des Hauses, seiner Isabelle täuschend ähnlich und erobert durch ihre sanfte, hilfsbereite Art sofort sein Herz. Zur Familie gehören außerdem ihre Brüder Gregori und Pjotr sowie Gregoris Frau Polina und deren kleiner Sohn Sascha.

Die Stimmung ist sehr gedrückt. Vor zehn Tagen brach der alte Gortscha, das Oberhaupt, auf, um den gefährlichen Räuber Alibeg zu besiegen. Zdenka erzählt, dass Alibeg ein Wurdelak sei - ein Vampir, der vorzugsweise das Blut seiner Liebsten trinkt. Nur mit einem Pfahl aus dem seltenen Hagedornbusch kann man dieses Wesen töten. Gortscha hat veranlasst, dass er nach diesen zehn Tagen nicht mehr von seiner Familie eingelassen werden soll, weil er dann selbst verwandelt wurde - und nun bangen alle, ob er bis Mitternacht zurückkommen wird; Serge allerdings hält die Geschichte zunächst für Aberglauben. Genau während es Mitternacht schlägt, klopft schließlich der alte Gortscha an die Tür und bittet um Einlass. Die Familie ist verzweifelt, denn sie wissen nicht, ob die Frist nun schon beendet und Gortscha tatsächlich ein Wurdelak ist ...

Bewertung:

Schaurig-schön ist die dritte Folge der Serie "Gruselkabinett", die sich einer Novelle aus dem Jahr 1847 annimmt und in gewohnt professioneller Manier gestaltet ist.

Unheimliche Spannung


Nach kurzer Einführung der Rahmenhandlung steigt die Spannung rasch an. Serge flüchtet vor gierigen Wölfen durch ein verschneites serbisches Dorf und sucht verzweifelt eine lebensrettende Unterkunft, da es hier kein Gasthaus gibt. Auch die Aufnahme im Haus des alten Gortscha bringt ihm nur kurzzeitige Erleichterung, denn er spürt sofort, dass er die Familie in einer Extremsituation angetroffen hat. Die hübsche Zdenka, ihre Brüder Pjotr und Gregori und dessen Frau Polina bangen um das Leben des Familienoberhauptes. Eindrucksvoll erlebt der Hörer ihre Furcht, die sie gleichzeitig zunächst vor dem fremden Gast zu verbergen versuchen. Der mitternächtliche Glockenschlag ist der erste Höhepunkt des Hörspiels, der scheinbare Beweis, dass Gortscha dem Wurdelak zum Opfer gefallen sein muss - doch genau in diesem Augenblick klopft dieser an die Tür und verlangt mit heiserer Stimme Einlass. Die Zerrissenheit der Familie ist effektvoll in Szene gesetzt. Einerseits möchte man ihnen zurufen, dass sie die Tür verschlossen halten sollen, nicht umsonst reagiert der Hund plötzlich so aggressiv auf seinen alten Herrn, und Gortscha verhält sich gereizt, beinah feindselig.

Auf der anderen Seite versteht man die winzige Hoffnung in ihren Herzen, dass eine Wiederkehr vor Ende des Glockenschlages noch als rechtzeitig zu deuten ist, und vor allem der kleine Sascha, der nichts von den unheimlichen Dingen weiß, will seinen Großvater endlich begrüßen dürfen. Gebannt lauert der Leser auf den Moment, in dem sich zeigen wird, ob der alte Gortscha tatsächlich zum Wurdelak geworden ist und wen er dann aus der Familie er wohl ins Unglück reißen mag. Grusel und Tragik gehen hier Hand in Hand - das Schicksal der Familie ist bewegend, und die blutgierigen Wurdelaks, die ihre Liebsten hintergehen, sind schaurige Gestalten, die ihre Opfer hinaus in die Kälte der Nacht ziehen und dort zerfleischen. Nicht zufällig spielen sich in Serges französischer Heimat ganz ähnliche Szenen unter den Menschen ab. In den Wirren der Revolution verwandeln sich seine Freunde teilweise zu Bestien, und zahlreiche Unschuldige verlieren ihr Leben auf der Guillotine, während andere ihre Liebsten verraten, ganz ähnlich wie im Kampf zwischen Menschen und Wurdelaks.

Gelungene Charaktere


Hauptfigur Serge ist ein sympathischer Charakter, der sich gut zum Mitfiebern eignet. Er erlebt gleich eine doppelte Liebestragödie, indem er einmal von Isabelle abgewiesen wird und seine zweite Auserwählte Zdenka nicht ohne die Erlaubnis ihres älteren Bruders das Dorf verlassen will. Nur zu gern würde man ihn und die sanfte junge Frau als Paar sehen, aber man ahnt, dass die Chancen dafür nicht hoch sind. Zdenkas älterer Bruder Gregori ist ein misstrauischer Geselle, mehr als Pjotr, der den Fremden äußerst ungern im Haus sieht. Die anfangs unscheinbare Polina wird im späteren Verlauf von einem heftigen Schicksalsschlag getroffen, der sie verzweifeln und den Verstand verlieren lässt, was auch den Hörer zutiefst rührt. Die Handlungen der Figuren sind nahezu durchweg überzeugend, es gibt nur eine Stelle, an der einer von ihnen zu schnell einen Wurdelak ins Haus lässt und seine Handlung nicht ganz realistisch ist.

Sehr gute Sprecher

David Nathan, bekannt als deutsche Stimme für Johnny, Depp, Christian Bale und häufig Leonardo di Caprio, spricht souverän und sympathisch den jungen Serge. Jürg Löw hat einen sehr überzeugenden Part als Gortscha, den er mit heiserer, langsamer Stimme spricht, stets mit einem unheilvollen Unterton, der hervorragend zu der zwielichtigen Figur passt, bei der man lange nicht sicher weiß, ob er ein Wurdelak ist oder sich nur durch die Strapazen der Zeit im Gebirge verändert hat. Peer Augustinski, den man nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Standardstimme von Robin Williams kennt, spricht heiser und knurrig, passend zu Gregoris Charakter.

Einen leider nur sehr kleinen Part hat Friedrich Schoenfelder, dessen aristokratisch klingende Stimme für David Niven und Vincent Price eingesetzt wird, als Erzähler, da er nur in der Rahmenhandlung vorkommt und ansonsten Serge D'Urfé die (Ich-)Erzählerrolle einnimmt. Arianne Borbach (Catherine Zeta-Jones) passt sehr gut auf die sanfte Zdenka mit ihrer weichen Stimme, die im weiteren Verlauf Gelegenheit bekommt, sich auch verführerisch-erotisch zu präsentieren.

Erwähnenswert ist auch Daniela Hoffmann als Polina. Als Synchronstimme spricht sie gern übersprudelnde Charaktere wie die von Julia Roberts, bekommt hier aber die Möglichkeit, eine breite Gefühlspalette von Unsicherheit, Panik bis hin zu irrer Freude und Wahnsinn wiederzugeben. Eine kleine, aber feine Rolle hat Regina Lemnitz mit ihrer markanten, volltönenden Stimme (Whoopie Goldberg, Kathy Bates) als zynische Dorfbewohnerin, die dem von Wölfen verfolgten Serge die Tür vor der Nase zuschlägt. Wie üblich bei Titania Medien wird die Geschichte zwischendurch mit dezenter klassischer Musik untermalt, und auch die Hintergrundgeräusche sind stimmig - seien es heulende Wölfe oder ganz subtile Gruselmusik in spannenden Szenen.

Fazit:

Eine sehr gute Hörspielumsetzung aus der Gruselkabinett-Serie, die durch Spannung, überzeugende Charaktere, eine emotional berührende Handlung und sehr gute Sprecher besticht. Von einer ganz kleinen Szene abgesehen gibt es nichts zu bemängeln, und alle Gruselfreunde finden hier beste Unterhaltung auf hohem Niveau.

Sprechernamen:

Erzähler: Friedrich Schoenfelder
Serge d'Urfé: David Nathan
Gortscha: Jürg Löw
Grigori: Peer Augustinski
Polina: Daniela Hoffmann
Zdenka: Arianne Borbach
Pjotr: Jens Hajek
Dorfbewohnerin: Regina Lemnitz

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