25. Juli 2012

Apfeldiebe - Michael Tietz

Produktdetails:

Ausgabe: 2011
Seiten: 450
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Der Autor:

Michael Tietz ist ursprünglich Krankenpfleger und lebt mit seiner Familie im Schwarzwald. Sein erster Roman war der Thriller "Rattentanz". http://www.michaeltietz.net/

Inhalt:

Sommerferien in Roggendorf, einem kleinen Ort im Südschwarzwald. Der dreizehnjährige Alex entdeckt zufällig unter einer Burgruine ein altes Kellergewölbe. Es scheint der ideale Ort für ein Abenteuer. Am nächsten Tag will er mit seinem besten Freund Max das Gewölbe erkunden und Ritter spielen. Mit dabei ist auch Max' achtjähriger Bruder Timi. Dazu kommen noch durch Zufall zwei weitere Jungen aus dem Dorf - Kasimir, wegen seiner langen Haare und sensiblen Art oft "das Mädchen" genannt und der Außenseiter Rufus, der seit dem Selbstmord seiner Mutter nur Schwarz trägt und recht düster wirkt.

Das Gewölbe entpuppt sich als wahre Schatzkammer voller alter Waffen und Gefäße. Mehr noch: Verschachtelte Gänge führen in ein Labyrinth unter der Burg, das bisher offenbar noch niemand entdeckt hat. Vor allem Alex ist begeistert und nutzt den Ort für ein Ritterspiel und Verstecken. Stunden verbringen die Jungen hier unten mit Spielen, die sich teilweise in gefährlichen Ernst wandeln. Bevor Rufus und Kasimir endgültig verschwinden können, geschieht eine Katastrophe: Der Eingang wird durch Massen von Erde und Steinen verschüttet.

Die Jungen sind unter der Erde gefangen, ohne Chance sich auszugraben und nur noch mit wenigen Essensvorräten ausgestattet. Abends machen sich ihre Eltern auf die Suche - doch weder sie noch ihre Helfer ahnen, dass die Jungen bei der Burgruine gespielt haben. Nur einer könnte die Jungen dort bemerkt haben: Der alte Gernot Seiler, der sie in Richtung Burgruine ziehen sah. Der aber scheint sich nicht für das Geschehen im Dorf zu interessieren und niemand fragt ihn. Während die Jungen verzweifelt auf Rettung warten, spitzen sich unter der Erde die Konflikte immer weiter zu ...

Bewertung:

Es klingt ein bisschen wie eine klaustrophobische Version von "Herr der Fliegen", was Michael Tietz in diesem Thriller zusammenbastelt: Eine Handvoll unterschiedlichster Jungen, auf engem Raum zusammengepfercht, ihre einzige Hoffnung auf Rettung liegt in den Händen anderer und neben der Angst sorgen Konflikte untereinander für eine zunehmende Bedrohung.

Ein besonderer Reiz in der Situation liegt darin, dass die fünf Protagonisten eben keine Freunde sind, sondern dass von Anfang an Spannungen zwischen ihnen bestehen. Da ist Alex, der selbstbewusste Anführer, der gerne die Initiative übernimmt. Da ist sein Freund Max, ein schwer übergewichtiger Junge aus schwierigem Elternhaus, der seinen Frust gerne an Schwächeren auslässt - etwa an Katzenbabys oder an Kasimir. Seinen kleinen Bruder Timi schützt er, gleichzeitig aber erwartet er bedingungslose Loyalität von ihm. Kasimir ist für Alex und Max das verweichlichte "Mädchen", ein guter Schüler, von den Eltern geliebt und umsorgt, doch sehr empfindsam und ein willkommenes Opfer. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Rufus. Keiner der anderen Jungen weiß, dass er seinen Bruder und seine Mutter jeweils durch Selbstmord verloren hat und diese schrecklichen Erfahrungen der Grund für seine düstere Aura und seine Todessehnsucht sind.

Die Charaktere sind allerdings auch nicht eindimensional oder statisch angelegt. Alex beispielsweise ist zu Beginn ein ziemlicher Unsympath, der sich gerne an den Hänseleien gegenüber Kasimir und Rufus beteiligt. Nach der Katastrophe allerdings bremst er seinen Freund Max, sieht seine eigene Teilschuld ein und sorgt für eine gewisse Beschwichtigung. Timi ist seinem großen Bruder Max zunächst treu ergeben und wagt nicht von seiner Seite zu weichen. Im Verlauf der Handlung allerdings begreift Timi trotz seines jungen Alters, dass Max ein ums andere Mal falsch und gefährlich handelt - und sucht die Nähe zu Kasimir. Max ist die obligatorische Zeitbombe in einer solchem Kombination. Anfangs vor allem durch seine Esssucht, später durch seinen Hang zum Sadismus charakterisiert. Später wird auch die Figur des Gernot Seiler intensiver beleuchtet. Anfangs erscheint er nur als knurriger Einzelgänger, der die Menschen im Dorf meidet und den Kindern wohl kaum eine Hilfe sein wird. Allmählich wird der Leser aber in seine Gedankenwelt geführt, in die Zeit nach dem Krieg, in die Zeit der ersten großen Liebe, die nicht wie erhofft endete und ihm immer noch nahe geht. Diese Passagen sind lang genug, um sich ein gutes Bild von Seiler machen zu können, aber nicht so lang, dass sie von der Haupthandlung ablenken.

Spannung bezieht der Roman vor allem aus zwei Komponenten: Zum einen natürlich die Frage, ob und wann und wie die Jungen gefunden werden. Der alte Seiler könnte etwas wissen, doch während die Suchmannschaften unterwegs sind, schwelgt er in melancholischen Erinnerungen über seine verlorene Liebe und ahnt den nahenden Tod, allein mit sich und seinem treuen Hund Hasso und auch zufrieden damit. Auch Alex' kleine Schwester Leni weiß von dem Vorhaben, doch tragischerweise hat er ihr zuvor streng verboten, darüber zu sprechen - aus Angst, die Eltern würden ihm dann sicher den Zutritt zum Gewölbe untersagen. Alex hat eine wirkungsvolle Drohung ausgesprochen, sodass sehr fraglich ist, ob Leni rechtzeitig mit dem Geheimnis heraus rückt.

Zum anderen aber gibt es neben der Sorge, ob den Jungen die Atemluft ausgeht oder sie verdursten die Befürchtung, dass es zu einem gefährlichen Streit kommt, vielleicht zu Handgreiflichkeiten mit ungeahntem Ausgang. Schon vor dem Einsturz ist klar, dass in Max ein Psychopath schlummert. Noch kann Alex ihn zurückhalten, doch angesichts der immer dramatischeren Umstände ist denkbar, dass Alex entweder doch wieder die Fronten wechselt oder Max durchdreht. Zudem geschieht recht bald nach dem Einsturz etwas, das dem Leser deutlich zeigt, dass der Autor zu düsteren Wendungen fähig ist und lange nicht gesichert ist, dass die Jungen alle oder auch nur manche von ihnen das Abenteuer überleben. Interessant ist auch das kurze Nachwort des Autors,

Schwächen gibt es in diesem eindringlichen, beklemmende und flüssig geschrieben Roman nicht viele. Etwas geschickter wäre vielleicht gewesen, Max nicht so schnell so psychopathisch darzustellen. Im weiteren Verlauf ist sein Verhalten glaubwürdig, nachdem die Jungen schon tagelang gefangen sind und man zudem einige Informationen über Max' Leben erhält. Es ist aber etwas dick aufgetragen, dass er schon so früh gewisse kaltblütige Gedanken hat, ein etwas langsamer Aufbau wäre ein bisschen reizvoller gewesen. Daneben erscheint es nicht immer ganz realistisch, zu welchen körperlichen und geschickten Leistungen die Jungen teilweise fähig sind, deren Altersspanne immerhin erst zwischen acht und dreizehn Jahren liegt - bei manchen Aktionen fühlt man sich schon ein bisschen an heldenhafte Abenteurer erinnert, so außerordentlich sind die Leistungen der entkräfteten Kinder.

Fazit:

Ein Thriller mit intensiver Atmosphäre und insgesamt gelungenen Charakteren, der von Anfang bis Ende fesselt. Der Roman ist sehr flüssig geschrieben, reißt mit und berührt. Die wenigen Schwächen sind nur kleine Schönheitsfehler, die unterm Strich kaum ins Gewicht fallen.

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