7. Juli 2012

Gruselmärchen - Barbara Bartos-Höppner

Produktinfos:

Ausgabe: 1980
Seiten: 128
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Die Autorin:

Barbara Bartos-Höppner lebte von 1923 bis 2006. Sie wuchs in Schlesien auf und veröffentlichte in den fünfziger Jahren ihre ersten Erzählungen, die sich um die Heimat drehten. Es folgten historische Romane und zahlreiche Kinder- und Jugendbücher. Sie erhielt Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz und engagierte sich in der Leseförderung für Kinder. Zu ihren Werken gehören u.a. Kosaken gegen Kutschum-Khan, Aljoscha und die Bärenmütze und die Schnüpperle-Reihe.

Inhalt:

Der Mann aus dem Meer:
Wie jedes Jahr an Heiligabend feiert ein reicher Kaufmann mit seiner Dienerschaft. Als einer der Diener am späten Abend in die Scheune muss, wird er dort von einem Draug überrascht - einem Toten aus dem Meer. An Heiligabend dürfen die Toten zurück an Land kommen, um sich eine Seele zu holen ...

Die Totenmesse: In einer kleinen Stadt in Telemarken lebt eine ältere, alleinstehende Dame, die sehr regelmäßig zur Kirche geht. Wie jedes Jahr freut sie sich besonders auf den Frühgottesdienst am Weihnachtsmorgen. Als sie dieses Jahr aufbricht, sind die Straßen ungewohnt leer. Die Kirche ist dafür schon fast vollständig gefüllt, doch zu ihrer Verwunderung erkennt die ältere Dame niemanden aus dem Dorf ...

Der Ritt auf den Glasberg:
Ein Vater hat drei Söhne, von denen der Jüngste von seinen Brüdern als Dummkopf verlacht wird. Als der Vater stirbt ist aber nur der jüngste Sohn bereit, die Totenwache zu übernehmen und wird dafür belohnt. Er erhält drei Flöten, die ein schwarzes, ein braunes und ein weißes Pferd herbei zaubern. Kurz darauf wird bekannt gegeben, dass die Prinzessin des Reiches nur denjenigen heiraten will, der es schafft, den Glasberg zu erklimmen. Bisher sind alle Reiter gescheitert ...

Die Teufelsbeschwörung:
Rund um die Dörfer des Teufelsmoors treibt der Satan sein Unwesen. Nur der Hof des Sandaker wird verschont, denn er hat angeblich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Eines Abends entdeckt der neue Fuhrknecht des Sandakers beim Kartenspielen im Wirtshaus den Leibhaftigen unter dem Tisch und will dem Teufel ein für allemal eine Lehre erteilen ...

Der verschwundene Mond: Ein Mann lässt seinen Esel im Dorfteich trinken, in dem sich der Mond spiegelt. Als der Mond plötzlich verschwunden ist, glaubt der Mann, sein Esel habe ihn verschluckt. Die Bevölkerung ist entsetzt und der Bürgermeister lässt sofort einen Prozess gegen den Esel durchführen ...

Der Sturz vom Kirchturm:
In einem Gebirgsdorf lebt ein Mann, der sich vor nichts und niemandem fürchtet. Deswegen ist es für ihn eine Herausforderung, als er hört, dass sich an Weihnachten alle Hexen der Gegend auf dem Kirchturm versammeln, um dort ihr Unwesen zu treiben. Der junge Mann will das Spektakel miterleben und bittet den Küster, das Glockenläuten zu übernehmen ...

Die Sprache der Boote:
Eines Abends hört ein Bootsmann vor dem Schuppen zufällig das Gespräch zweier Boote. Das eine ist sicher, dass es am nächsten Tag untergehen wird, weil die Fischer trotz schlechten Wetters ausfahren werden. Dem alten Bootsmann gelingt es tatsächlich nicht, die Männer davon abzuhalten. Auf See geraten sie in ein heftiges Unwetter, aus dem sie ausgerechnet der Teufel erretten will ...

Die schwarze Prinzessin:
Ein Königspaar, das sich sehnlichst ein Kind wünscht, sucht eine alte Kräuterfrau auf, die ihnen ein Mittel gibt. Endlich kommt die ersehnte Tochter zu Welt, doch sie ist kohlschwarz, isst nichts, spricht kein Wort und wächst viel schneller als andere Kinder. Erst Jahre später spricht sie und wünscht sich einen Sarg, der nachts in der Kirche bewacht werden soll. Die Eltern erfüllen ihren unheimlichen Wunsch - und in jeder Nacht verschwinden die Wachtposten ...

Der alte Husar:
Ein alter Husar tauscht drei Brote gegen ein Paar Hosen, ein Kartenspiel und einen Leinensack, die ihm Glück bringen sollen: In der Hose geht ihm nie das Geld aus, mit den Karten gewinnt er immer und in den Sack lässt sich auf Befehl alles stecken, was er wünscht. In einer alten Mühle begegnet er dem Teufel, den er mit seinen Gegenständen überlisten will ...

Die Frau, die keine Kinder haben wollte: Eine junge Pfarrersfrau ist glücklich mit ihrem Mann, aber sie fürchtet sich davor, ein Kind zu gebären, da ihre eigene Mutter bei der Geburt verstarb. Eine Kräuterhexe gibt ihr ein Mittel, das eine Empfängnis verhindern wird. Dazu gehört auch, dass die junge Frau sieben Steine, die ihre Kinder geworden wären, in den Brunnen wirft. Als der Pfarrer merkt, dass sie ihren Schatten verloren hat, weil sie sich schwer versündigt hat, verstößt er seine Frau im Zorn ...

Bewertung:

"Weil's doch jetzt Zeit ist, Märchen zu erzählen", sagte schon Theodor Storm und zu keiner Zeit passen Märchen besser in die Atmosphäre als im kuscheligen Winter und erst recht diese Gruselmärchen, die nach Sonnenuntergang, wenn draußen der Wind um die Mauern pfeift, ihre beste Wirkung entfalten. Wie schon in ihren anderen Themenbänden wie den Zaubermärchen, den Wintermärchen oder den Tiermärchen widmet sich Barbara Bartos-Höppner alten Geschichten, die nichts von ihrem Charme und ihrem Grusel eingebüßt haben. Jede Geschichte ist mit einem kleinen Rahmen versehen, in dem die Autorin dem Leser preisgibt, unter welchen Umständen sie als Mädchen in ihrem Heimatdorf die jeweilige Geschichte erzählt bekommen hat. Mal ist es die alte Berthe, mal der Großvater und mal der hagere Daniel, die ein unheimliches Märchen kannten und auf einem Spaziergang oder vor dem Kaminfeuer zum Besten gaben und diese Einleitungen stimmen den Leser perfekt auf die folgenden Geschichten ein.

Der Mann aus dem Meer
bildet den gruseligen Auftakt, der in die Welt der Drauge entführt - die Toten aus dem Meer, die einmal im Jahr versuchen, sich eine Seele in ihr Reich zu holen. Der Diener flüchtet vor dem unheimlichen Wesen, das ihm mit zahlreichen weiteren Draugen folgt und es bleibt ist bis kurz vor Schluss spannend, ob und wie er womöglich den Toten aus dem Meer entgeht.

Die Totenmesse ist eine sehr geradlinige und vorhersehbare Geschichte, schon allein der Titel nimmt viel vorweg und der Leser ahnt früher als die alte Frau, was auf sie zukommt. Das tut der Atmosphäre jedoch keinen Abbruch, vielleicht unterstützt es sie sogar noch, denn es löst eine besondere Spannung beim Leser aus, dass er erlebt, wie die alte Dame sich für die Morgenmesse fertig macht und geradewegs in ihr Unglück läuft - alle Uhren sind im Haus stehen geblieben, der Mond scheint so hell wie nie zuvor, die Straßen sind leer. Als Leser möchte man die Protagonistin davon abhalten, sich trotz dieser Vorzeichen auf den Weg zu machen und kann doch nur passiv verfolgen, wie sie einer Messe beiwohnt, in der sie nichts verloren hat. Über der Geschichte liegt eine melancholische, aber nicht deprimierende Stimmung, die berührt, es gibt keine grausamen Szenen, sondern nur ein faszinierendes Zusammentreffen zweier Welten, die nicht zu vereinen sind, die der Lebenden und die der Toten.

Der Ritt auf den Glasberg
ist der einzige Ausfall des Bandes - zwar keine völlig unlesenswerte Geschichte, aber eindeutig der schwächste Beitrag. Grusel gibt es hier kaum, nur die Szenen während der Totenwache, als der Vater zu sprechen beginnt, sind unheimlich, der Rest der Handlung hätte eher in den Band der "Zaubermärchen" gepasst. Es ist ein sehr klassisches und simples Märchen mit drei Brüdern, von denen natürlich der jüngste und scheinbar einfältigste sich als gut erweist. Die Treue zum Vater wird belohnt, das ist die kleine Lehre, die Kinder daraus ziehen können, aber ansonsten ist diese Erzählung eher belanglos.

Die Teufelsbeschwörung ist eine sehr solide Geschichte, in der der Satan mal unheimlich und mal eher grotesk-komisch erscheint. Im Mittelpunkt steht der junge, furchtlose Fuhrknecht des Sandakers, der keine Scheu davor hat, sich mit dem Teufel anzulegen. Daneben überzeugt die Geschichte vor allem durch ihre Atmosphäre. Sie gewährt einen kleinen Einblick in das Leben der Holzhändler im 19. Jahrhundert mit den nächtlichen Fahrten durch neblige Wälder auf gefährlichen Wegen, die leicht den Tod bedeuten können.

Der verschwundene Mond ist ein Märchen, das mit seinem bizarren Prozess gegen einen Esel als angeblichen Monddieb an die Schildbürger-Erzählungen erinnert. Grusel gibt es hier kaum, sieht man davon ab, dass die Geschichte nachts spielt und ein Rudel Wölfe seinen Auftritt hat. Auch Kinder werden die Komik der Handlung verstehen und sich über die naiven Vorstellungen der Dorfbewohner amüsieren.

Der Sturz vom Kirchturm erinnert ein klein wenig an das Grimmsche Märchen "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" mit dem mutigen Protagonisten, der sich bereitwillig unter Gruselgestalten begibt. Am Ende darf auch noch der Teufel mitspielen, aber weder Hexen noch Satan können den jungen verwegenen Mann schrecken, der sie alle austrickst. Eine kurze, aber unterhaltsame Geschichte.

Die Sprache der Boote hat wie mehrere Geschichten des Bandes einen Teufelspakt zum Thema. Das Märchen ist ein wenig melancholisch und durch die Einbindung der sprechenden Boote recht originell - es ist nahezu rührend, mitzuhören, wie die beiden, einst aus dem gleichen Holz geschnitzt wurden, sich voneinander verabschieden, weil eines weiß, dass es nicht mehr von seiner letzten Fahrt zurückkehren wird. Das Unwetter auf See ist schön dramatisch in Szene gesetzt und am Ende gibt es eine gelungene Pointe, in der der Teufel ausgetrickst wird - aber es bleibt etwas Schwermut zurück.

Der alte Husar ist ein sehr schönes Märchen mit einer sympathischen Titelfigur, der man es gönnt, den Teufel hereinzulegen. Der altgediente Husar hat keine Scheu vor dem Leibhaftigen und ist äußerst gewitzt. Zudem erinnert das Märchen ein klein wenig an Sterntaler und ähnliche Erzählungen, in denen jemand seine geringe Habe mit anderen Bedürftigen teilt und dafür reichlich belohnt wird. Auch wenn hier sowohl der Teufel als auch der Tod höchstpersönlich auftauchen, ist das Märchen an keiner Stelle zu unheimlich für Kinder, da der Husar immer souverän auftritt und man genau weiß, dass er nichts zu befürchten hat.

Die schwarze Prinzessin ist wohl die grausigste Geschichte des Bandes, bekommt man es doch hier mit einer Menschenfresserin zu tun. Eine unbedachte Äußerung des Königs hat sein zukünftiges Kind verflucht und Nacht für Nacht muss ein armer Wachtposten sein Leben lassen. Ein junger Soldat, der der nächste sein soll, will zunächst fliehen, wird jedoch von einem alten Mann überredet, seine Aufgabe wahrzunehmen und erhält nützliche Ratschläge, die die Prinzessin vielleicht erlösen können. Die Geschichte ist, schon allein dank der "Es war einmal"-Einleitung und dem Königshintergrund, märchenhafter als andere Erzählungen des Bandes, und da sie dadurch weniger realistisch wirkt, wird die plakative Grausamkeit ein wenig abgemildert. Das Märchen lässt die Subtilität der anderen Werke vermissen und ist für die jüngsten Leser bzw Zuhörer vielleicht zu heftig, ist aber dennoch eine gelungene Geschichte, in der das Böse letztlich durch die Liebe besiegt wird.

Die Frau, die keine Kinder haben wollte ist wohl die berührendste Geschichte im Buch, die zugleich wenig unheimlich ist. Für ganz junge Kinder ist sie zudem nicht wirklich geeignet, zu grenzwertig ist ihr Thema, das sich indirekt und auf eine altmodische Art mit Abtreibung befasst. Auf sehr traurige Weise wird die junge Frau mit ihren verlorenen Kindern konfrontiert, denen sie die Möglichkeit nahm, zur Welt zu kommen. Damit ist die Geschichte durchaus wertend in ihrer Haltung, allerdings wäre alles andere auch unrealistisch angesichts der Zeit - wohl das neunzehnte Jahrhundert - in der die Handlung spielt. Es ist eine bewegende Erzählung über Schuld und Vergebung, über falsche Entscheidungen und Wiedergutmachung, die trotz aller Traurigkeit am Ende versöhnt.

Bei fast allen Geschichten spielt Gott eine kleine oder größere Rolle, wie man es eben aus alten Märchen kennt, die in den vorigen Jahrhunderten spielen. Für Kinder, die nichts vom christlichen Glauben wissen, ist das sicher irritierend, aber ohne diese Elemente würden die Erzählungen nicht funktionieren oder authentisch wirken, denn der Glaube ist in der damaligen Zeit zu tief mit allem Jenseitigen verbunden. Sehr atmosphärisch sind die schwarz-weißen-Federzeichnungen, die einzelne Szenen aus dem Erzählungen anschaulich darstellen.

Fazit:

Eine sehr abwechslungsreiche Sammlung alter Gruselmärchen, die mal mehr und mal weniger unheimlich sind. Die Sammlung besticht durch die passenden Einleitungen, einen einfachen Stil, der sich auch und gerade für Kinder eignet, kleine Lehren, ohne dabei penetrant zu werden und geben auch etwas zum Nachdenken mit auf den Weg. Nicht alle Märchen überzeugen voll und ganz, aber der Großteil ist sehr gelungen und immer wieder lesenswert.

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