21. Juli 2013

Daphnis und Chloë - Longos

Produktinfos:

Ausgabe: 2000
Seiten: 133
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Der Autor:

Über Longos ist so gut wie nichts bekannt. Der griechische Schriftsteller lebte vermutlich Ende des 2. oder Anfang des 3. Jahrhunderts. "Daphnis und Chloë" ist sein einziges bekanntes Werk. da der Roman auf der Insel Lesbos spielt, wird auch Longos dorthin verortet, was jedoch Spekulation ist.

Inhalt:


Die Insel Lesbos, etwa im 3. Jahrhundert: Das Mädchen Chloë und der Junge Daphnis werden als Säuglinge ausgesetzt und jeweils von Pflegeeltern großgezogen. Daphnis wurde von einer Ziege gesäugt, Chloë von einem Schaf und passenderweise kommen sie beide zu Hirtenfamilien. Ihr Vergangenheit ist unklar, doch einige kostbare Beigaben der Kindern weisen auf eine vornehme Herkunft hin.

Daphnis und Chloë hüten bereits im Kindesalter oft gemeinsam die Ziegen und Schafe und freunden sich dabei an. Eines Tages beobachtet Chloë Daphnis beim Baden und verliebt sich beim Anblick seines schönen Körpers in ihn, ohne diese Gefühle recht einordnen zu können. Auch bei Daphnis entbrennen Gefühle, nachdem ihm Chloë einen spielerischen Kuss gegeben hat.

Die beiden Liebenden verbringen so viel Zeit wie möglich miteinander, ohne allerdings mehr als Küsse auszutauschen. Während bei Daphnis allmählich erotische Gefühle erwachen, kommen auf die beiden einige Hindernisse und dramatische Entwicklungen zu wie feindlichen Rivalen und Entführungen ...

Bewertung:

Verglichen mit den großen Epen und Tragödien fristet der antike Roman eine Art Schattendasein in seiner Bekanntheit und freilich ist bereits der neuzeitliche Begriff des "Romans" nur cum grano salis auf diese Erzählform zu übertragen. Grundsätzlich bietet der antike Liebesroman für gewöhnlich vor allem leichte Unterhaltung mit den abenteuerlichen Verwirrungen zweier Liebender, die allerlei Treueproben, räumliche Trennungen und weitere Verwicklungen bestehen müssen, ehe ihnen ein glückliches Ende winkt.

"Daphnis und Chloë" sticht in mancherlei Hinsicht aus diesem recht simplen Schema heraus: Zum einen ist es der einzige bekannte antike Roman, der in die Welt der Bukolik, der Hirtendichtung, entführt, zum anderen sind es mitnichten zwei erwachsende Liebende, sondern Kinder bzw später Jugendliche, die sich erst allmählich in das Reich des Eros vortasten. "Daphnis und Chloë" haben unzählige Adaptionen erfahren, von Jacques Offenbachs Operette über ein Ballett von Maurice Ravel bis hin zu Lithografien von Marc Chagall. Auch Goethe äußerte sich begeistert über dieses Werk, in dem "immer der blaueste, reinste Himmel" herrsche und wie so oft hat er auch damit recht - die Erzählung von Longos erscheint als ein zauberhaftes kleines Stück Literatur, das für ein Weilchen zum Träumen verführt und durchaus öfter im Leben gelesen werden kann.

Longos präsentiert seinen Leser eine idyllische Welt, in der Daphnis und Chloë fast wie im Garten Eden lustwandeln - umgeben von Schafen, Ziegen und Rindern, grünen Wiesen, plätschernden Bächen, romantischen Grotten und ab und zu kreuzen Hirten, Nymphen oder Hirtengott Pan höchstselbst ihren Weg. Die Stärken des Romans liegen vor allem in der niedlich-unschuldig geschilderten Entwicklung der Liebe und Erotik zwischen den beiden sowie in den atmosphärischen Naturbeschreibungen. Sehr schön und bewegend lesen sich die Gefühlswallungen der beiden jungen Menschen, die von der Liebe erfasst werden und doch noch nicht ahnen, was da mit ihnen vorgeht. Sie können nicht genug vom Anblick des Liebsten bekommen, fühlen brennende Sehnsucht in sich, wechseln zwischen Blässe und Kälte; Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit tun ihr Übrigens dazu - kurzum, die Liebeskrankheit hat die beiden mit all ihren typischen Symptomen im ovidischen Stil in ihren Fängen. Leider wissen die beiden nicht, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen, geschweige denn, wie sie ausleben können. So verzehren sich in ihrem brennenden Verlangen, ohne eine konkrete Vorstellung zu haben, was man außer Anschauen und Schafehüten denn noch miteinander anstellen könnte.

Der alte Hirte Philetas - der nicht zufällig den gleichen Namen wie der Begründer der antiken Hirtendichtung trägt - gibt ihnen in einer hübschen augenzwinkernden Erzählung des Rat, dem kecken, geflügelten Kerlchen namens "Eros" mit "Kuss und Umarmung und Zusammenliegen mit nackten Leibern" beizukommen und so die Liebeskrankheit zu lindern. Die Küsse und Umarmungen setzen Daphnis und Chloë auch gleich entzückt um, das "Zusammenliegen" kommt etwas später - allerdings bleibt es Dank ihrer Unkenntnis eben tatsächlich zunächst beim bloßen Zusammenliegen, was freilich dann eben auch nicht die erwartete Erfüllung bringt. Diese erotische Naivität ist amüsant und liebenswert zugleich, ohne dabei lächerlich zu wirken.

Eine zugegeben schon etwas irritierende Naivität liegt dagegen vor, wenn Daphnis sich bei der Übernachtung in Chloës Haus eng an deren Vater kuschelt, ihn küsst und umarmt und sich dabei vorstellt, seine Chloë statt ihrem Vater in den Armen zu halten. Auch würde so manche Frau sich an Chloës Stelle bedanken, wenn der Liebste sich, wie Daphnis,  zunächst von einer erfahrenen Frau in die Liebe einweisen lässt, um fürs erste Mal besser gewappnet zu sein. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig sind zudem die oftmals sehr knappen Schilderungen wichtiger Ereignisse, die sehr gerafft wirken - so etwa, wenn Chloë entführt und auf der gleichen Seite wieder befreit und zurückgebracht wird und dementsprechend wenig Worte dafür verschwendet werden. Überhaupt sind diese dramatischen Zwischenepisoden zwar ganz nett zu lesen, reichen aber nicht an den Charme der idyllischen Szenerie heran, die den eigentlichen Reiz des Werkes ausmacht.

Fazit:


Ein schöner kleiner antiker Liebesroman, der in die idyllische Hirtenwelt entführt und zurecht ein Klassiker geworden ist. Tipp: Mit einem Becher Schokoladeneis in den sonnigen Garten, an den See oder ans Meer legen und das niedliche Erwachen der ersten Liebe verfolgen - frustrierend nur, wenn man gerade selbst keinen Daphnis bzw keine Chloë an seiner Seite hat. :-)

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