31. Juli 2013

Das dritte Buch des Horrors (1900-1920) - Joachim Körber (Hrsg.)

Produktinfos:

Ausgabe: 1992
Seiten: 349
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Der Herausgeber:

Das Dritte Buch des Horrors ist Teil einer Reihe zur Geschichte der unheimlichen Literatur, der sich mit Erzählungen von 1900 bis 1920 befasst. Joachim Körber hat zehn Geschichte aus jener Zeitspanne zusammengestellt. Neben den Geschichten bietet der Band zudem noch ein Vorwort und einen Anhang mit weiteren Lektüretipps, sowohl zu Autoren dieses Buches als auch zu weiteren, die in diese Zeit gehören.

Inhalt:


Die Affenpfote - William Wymark Jacobs (1902) S. 11-24
Der alte Kolonialoffizier Sergeant Major Morris besucht seinen Freund Mr. White und erzählt ihm, dessen Frau und ihrem Sohn Herbert von seinen Abenteuern in Indien. Dabei kommt das Gespräch auf eine magische Affenpfote, die der Sergeant-Major bei sich trägt. Diese Pfote erfülle jedem seiner Besitzer drei Wünsche, der Sergeant-Major rät Mr. White aber dringend davon ab, sie zu benutzen - jeder der Wünsche bringe nämlich Unglück mit sich. Die Whites sind amüsiert und fasziniert zugleich von dieser Geschichte und trotz des Rates seines Freundes wünscht sich Mr. White eine bestimmte Geldsumme - und das fatale Schicksal nimmt damit seinen Lauf ...

Die Topharbraut - Hanns Heinz Ewers (1903)
S. 25-58
Ein Schriftsteller sucht dringend eine Bleibe in Berlin. Notgedrungen mietet er zwei Zimmer, von denen eines als Durchgangszimmer für seinen Nachbarn, den Privatgelehrten Fritz Beckers, dient. Nach und nach lernen sich die beiden Männer besser kennen. Beckers entpuppt sich als Orientalist und ist ein interessanter, aber auch sehr geheimnisvoller Gesprächspartner. Mit der Zeit ahnt der Schriftsteller, dass der Gelehrte einiges zu verbergen hat ...

Tropischer Schrecken - William Hope Hodgson (1905)
S. 59-72
Auf dem Rückweg von Melbourne nach London gerät die Glen Doon in eine Flaute. Während der nächtlichen Wache entdecken die Matrosen Thompson und Joky plötzlich den Tentakel einer grässlichen Kreatur, der sich über die Reling schiebt. Rasch ist das Schiff in Alarmbereitschaft, doch die Männer scheinen dem Ungeheuer hilflos ausgeliefert ...

Die Weiden - Algernon Blackwood (1907)
S. 73-144
Zwei Freunde machen eine Kanufahrt auf der Donau. Als es am Nachmittag immer stürmischer wird und das Hochwasser steigt, gehen sie an einer kleinen Insel an Land und bereiten ihr Nachtlager vor. Die unberührte Natur mit den dichten Weiden, dem zunehmenden Wind und dem steigenden Wasser scheint den beiden Abenteurern zunehmend bedrohlich - beinah, als sei die Natur lebendig und ihnen feindlich gesinnt. Ihr Gefühl verstärkt sich, als sie auf dem Fluss eine Gestalt sehen, die ihnen offenbar eindringliche Warnungen zuruft, ehe sie verschwindet ...

Der gelbe Schädel - Georg von der Gabelentz (1909)
S. 145-200
Bei der jungen russischen Malerin Kathinka treffen sich ihre beiden Freunde Doktor Meßmer und der Maler Karl Asching sowie der mit Kathinka liierte Hobbymaler Albert Schalken. Schalken erzählt von seinem Fund einer verfallenen Grabstätte, aus der er kurzerhand einen Schädel als Souvenir mitnahm. Der seltsam gelb gefärbte Schädel scheint eine merkwürdige Anziehungskraft auf ihn auszuüben - und Schalken zu verändern ...

Das Chorgestühl zu Barchester - M. R. James (1911)
S. 201-224
Dr. Haynes hofft schon seit Langem, in Barchester die Stelle des Archidiakons übernehmen zu können - doch dabei steht ihm noch sein hochbetagter Vorgänger im Weg. Haynes, selbst nicht mehr der Jüngste, hat nicht die Geduld, auf dessen Ableben zu warten und inszeniert einen tödlichen Unfall. Haynes erhält die Stelle und scheint sein Ziel erreicht zu haben - doch die Rache aus dem Jenseits lässt nicht lange auf sich warten ...

Wie die Angst aus der langen Galerie verschwand - E. F. Benson (1912) S. 225-244
Das Familienanwesen der Perevils wird seit Langem regelmäßig von Geistern der Ahnen heimgesucht. Die Perevils gehen damit humorvoll um und stören sich nicht an den gewöhnlich harmlosen Erscheinungen. Eine Ausnahme bilden jedoch die Geister der Zwillinge, die im Jahr 1602 von Dick Perevil ermordet wurden, um sich die Herrschaft zu sichern. Seither bedeutet ihr Erscheinen in der langen Galerie großes Unglück für die Familie ...

Das Grabmal auf dem Père Lachaise - Karl Hans Strobl (1914) S. 245-278
Die verstorbene Gräfin Anna Feodorowna Wassilska hinterlässt demjenigen ihr Vermögen, der ein Jahr lang in ihrem Mausoleum verbringt. Der arme Naturwissenschaftler Ernest lässt sich darauf ein und wird zweimal am Tag mit Nahrungsmittel von Iwan, dem schweigsamen Diener der Gräfin, versorgt. Während seines Aufenthaltes sinniert Ernest über den Sinn dieses seltsamen Testaments ...

Meister Leonhard - Gustav Meyrink (1916) S. 279-319
Leonhards Leben ist von Beginn an durch Unglück und seine strenge, manische Mutter geprägt, bis er sich zu einer Bluttat gezwungen sieht. Nach und nach erschließt sich ihm ein furchtbares Familiengeheimnis und er taucht ein in die bedrohliche Welt des Okkultismus ....

Die flüsternde Mumie - Sax Rohmer (1918) S. 321-338
Kernaby und sein Bekannter Felix Breton besuchen eine Tanzvorführung in Kairo. Dabei findet der Maler Breton Gefallen an einer schönen Tänzerin, die ihm Modell für ein Gemälde sitzen soll. Kernaby erhält daraufhin die Warnung, dass ein geheimnisvoller schwarzer Derwisch die Tänzerin begehrt und es äußerst riskant ist, sich ihr zu nähern. Kernaby richtet Breton diese Warnung aus, doch dieser lacht nur darüber ...

Wie der Horror ins 20. Jahrhundert schlich

Die Affenpfote bietet nicht nur einen gelungenen Einstieg in den Band, sondern ist die beste Geschichte des Buches und generell eine der lesenwertesten britischen Gruselgeschichten. Ihr Autor William Wymark Jacobs ist bedauerlicherweise stark in Vergessenheit geraten, doch der Mythos um die Affenpfote ist nach wie vor lebendig und wird gerne in Geschichten oder Filmen aufgegriffen. Die dichte Atmosphäre der Erzählung steigert sich im Handlungsverlauf bis zu einer fast unerträglichen Beklemmung, ehe sie in Horror und Melancholie umschlägt. Die Sehnsucht nach Wunscherfüllung durch Magie erfährt hier ähnlich wie in Teufelspakten auf furchtbare Weise eine fatale Wendung, die davor warnt, in den Schicksalslauf einzugreifen. Besonders reizvoll sind die geschickten Andeutungen des Erzählers, die die Phantasie des Lesers anregen und die wirkungsvoller sind als es explizite Ausführungen sein könnten. Wer sich für unheimliche Literatur interessiert, kommt an dieser Geschichte nicht vorbei - und wird nach der Lektüre mit Sicherheit jede Affenpfote dankend ablehnen.

Die Topharbraut fällt demgegenüber deutlich ab, ohne dabei schlecht zu sein. Hanns Heinz Ewers gehört, auch wenn viele seiner Werke der Trivialliteratur zuzuordnen sind, zweifellos zu den wichtigen deutschen Vertretern unheimlicher Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, bekannt vor allem für seinen Roman "Alraune" oder etwa für die schonungslose Novelle "Die Tomatensauce" (die sich wegen ihrer sehr expliziten Splatter-Schilderungen nur für Leser mit sehr robusten Mägen empfiehlt). Diese Geschichte ist zwar kein Glanzstück der unheimlichen Literatur und vor allem etwas vorhersehbar, aber doch sehr solide und spielt gekonnt mit einer Mischung aus düsteren Andeutungen und trockenem Humor. Anfangs etwas gewöhnungsbedürftig ist der etwas hastige Stil, der letztlich aber gut zur lakonischen Erzählweise passt.

Tropischer Schrecken ist sicher nicht die beste der vielen Seefahrtgeschichten William Hope Hodgson, verglichen etwa mit "Stimme in der Nacht" oder "Die Herrenlose". Dabei weiß diese Geschichte dennoch über weite Strecken zu gefallen, transportiert sie doch überzeugend und intensiv die aufsteigende Panik des Ich-Erzählers Thompson. Enttäuschend ist dagegen das etwas lapidare und plakative Ende, das der Geschichte nachträglich etwas von ihrer Wirkung nimmt.

Mit Die Weiden liegt der zweite eindeutige Höhepunkt dieses Bandes vor - eine meisterhafte Geschichte von Algernon Blackwood, die als Paradebeispiel für atmosphärisches Erzählen dienen kann. Die eigentliche Handlung ließe sich in wenigen Sätzen zusammenfassen - und doch wird es keine Sekunde langweilig, den ausführlichen Beschreibungen zu folgen, die die dunkle Seele dieser Insel offenbaren und den Schrecken des Ich-Erzählers spürbar machen, der sich nach und nach bewusster wird: "Die Weiden waren gegen uns!" Es ist dieses Gefühl, bei einer Wattwanderung von der Flut überrascht zu werden, einen Orkan auf See zu erleben oder sich während eines Gewitters im Wald zu verkriechen, dieses Wechselspiel aus Angst und Ehrfurcht vor Schrecken und Schönheit der Natur, das Algernon Blackwood hier auf wunderbare Weise einfängt und mit irrationalen Elementen auflädt. H.P. Lovecraft soll sie als beste je geschriebene englische Geschichte bezeichnet haben - abwegig ist seine Meinung sicherlich nicht.

Der gelbe Schädel ist eine wenig beachtete Gruselgeschichte, die nach anfänglichem Charme tatsächlich mehr und mehr von ihrem Reiz einbüßt. Die Charaktere sind zweifellos recht interessant und die Ausgangslage verspricht eine gewisse Spannung. Doch die zweite Hälfte der Geschichte vermag eher wenig zu überzeugen; das Ende ist vorhersehbar, der Horror verpufft, anstatt sich dem Leser nachhaltig einzuprägen und an einigen Stellen hätten ihr Straffungen gut getan. Kein wirklich schlechter, aber doch allenfalls durchschnittlicher Beitrag in diesem Band.

Das Chorgestühl zu Barchester ist eine recht typische Erzählung aus dem Œuvre M.-R. James, der gerne rachsüchtige Geister in seinen Erzählungen einsetzt. Die Geschichte liest sich anfangs etwas schwerfällig, da sie auf mehreren Ebenen und die Rahmenhandlung des Ich-Erzählers mit historischen Aufzeichnungen aus Briefen und Tagebüchern mischt, wobei letztere in einem oft sperrigen Stil verfasst sind. Inhaltlich jedoch vermag die Geschichte zu überzeugen und bietet traditionellen Grusel, der ohne Schockeffekte auskommt.

Wie die Angst aus der langen Galerie verschwand ist dank ihres trockenen Humors eine für E.F. Benson sehr typische Geschichte, die Amüsement mit wohligem Gruseln vereint. Es ist nicht leicht, eine solche Mischung zufriedenstellend zu kreieren, aber Benson gelingt es hervorragend, wie nebenbei witzige Spitzen an den passenden Stellen in eine unheilvolle Szenerie einzubinden. Das gefühlvolle Ende ist ausgesprochen gelungen und hinterlässt den Leser in einer sehr positiven Stimmung.

Das Grabmal auf dem Père Lachaise ist eine morbide Geschichte mit sehr effektvollem Ende, die sich des Vampirmotivs bedient. Bereits die Ausgangslage mit dem ungewöhnlichen Vermächtnis, dem unheimlichen Diener und der klaustrophobischen Atmosphäre weiß zu fesseln, während sich mit fortschreitender Handlung der Horror einschleicht und allmählich die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit verwischt. Die Erzählung reicht zwar nicht ganz an die Höhepunkte des Bandes heran, zeigt aber dennoch recht deutlich, weshalb Karl Hans Strobl zu den wichtigsten Vertretern österreichischer Phantastik seiner Zeit gezählt werden muss.

Gustav Meyrinks Name ist natürlich in erster Linie mit seinem Roman "Der Golem" verbunden. Meister Leonhard ist ein typisches Beispiel für sein ausgeprägtes Interesse an allem Okkulten, Mystischen und Esoterischen, das er hier großzügig ausspielt. Überzeugend ist dabei vor allem die erste Hälfte der Erzählung, wohingegen der zweite Teil ein wenig an Überfrachtung leidet. Insgesamt ein eher durchschnittlicher Beitrag in diesem Band, auch wenn Gustav Meyrink als bedeutender Vertreter der Phantastik natürlich nicht in einem Werk zu jener Zeitspanne fehlen darf.

Der Titel Die flüsternde Mumie ist heute zwar vor allem als eine Folge der Drei Fragezeichen populär, setzt das Thema hier allerdings entschieden ernster um. Sax Rohmer ist hauptsächlich für seine unzähligen Bücher zu Dr. Fu Manchu bekannt und trotz seines Erfolges sicher nicht als besonders guter Schriftsteller zu sehen. So ist denn auch diese Geschichte weniger interessant als ihr Titel zunächst vermuten lässt und wer ägyptisch inspirierte Horror-Erzählungen sucht, ist bei Bram Stoker und Sir Arthur Conan Doyle sicherlich besser aufgehoben. Als Ausklang für diesen Band ist die Geschichte daher nicht gerade ideal gewählt, wiewohl sie einen gewissen Unterhaltungscharakter in sich trägt.

Fazit:


Eine bunte Mischung gruseliger Erzählungen von 1900-1920, die die bevorzugten Themen jener Zeitspanne widerspiegeln. Neben einigen hervorragenden Beiträgen finden sich auch schwächere Geschichten wieder, dennoch lohnt sich unterm Strich die Lektüre auf jeden Fall.

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