24. Oktober 2013

Schatten über Allerby - Rebecca Michéle

Produktfakten:

Ausgabe: 2013
Seiten: 323
Bestellmöglichkeit beim Dryas-Verlag
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 Herzlichen Dank an Goldfinch und Blogg dein Buch zum Bereitstellen des Rezensionsexemplars.

Die Autorin:

Rebecca Michéle, Jahrgang 1963, heißt eigentlich Ursula Schreiber. Sie arbeitete zunächst als Arzthelferin und bei einer Krankenkasse, ehe sie sich dem Schreiben widmete. Viele ihrer Werke spielen in Großbritannien. "Die Tote von Higher Barton" war der erste Cornwall-Krimi mit Mabel Clarence.

Inhalt:

Mabel Clarence erhält von der jungen Lady Michelle Carter-Jones von Allerby House den Auftrag, auf Mabels ehrwürdigem Anwesen Higher Barton eine Überraschungsparty zum Geburtstag ihres Mannes zu veranstalten. Mabel sagt gerne zu und beginnt eifrig mit den Vorbereitungen. Doch wenige Tage vor der Party ist Lady Michelle plötzlich tot.

Alles deutet auf Selbstmord hin: Schlaftabletten, aufgeschnittene Pulsadern und ein von innen verschlossenes Badezimmer. Mabel ist schockiert und trotz aller Indizien für einen freiwilligen Suizid auch misstrauisch: Die attraktive junge Frau erschien ihr so lebensfroh und selbstbewusst, zudem freute sie sich offenbar sehr auf die bevorstehende Party.

Dank eines Zufalls gelingt es Mabel, sich als Pflegerin für den Witwer auf Allerby House einzuschleichen. Lord Douglas Carter-Jones ist nicht nur dreißig Jahre älter als seine verstorbene Frau, sondern auch seit einem Unfall vor ein paar Jahren an den Rollstuhl gefesselt. Trotz aller bösen Gerüchte war er immer davon überzeugt, dass ihn Michelle nicht wegen seines Geldes heiratete und trauert sehr um sie. Ganz anders dagegen seine ältere Schwester Lady Jane, der Michelle ein Dorn im Auge war. Mabel findet Hinweise, dass es womöglich einen weiteren Mann in Michelles Leben gab. Schließlich passiert ein Mord auf Allerby House ...

Bewertung:

Ein paar Monate sind seit Mabel Clarences letztem Fall vergangen, den sie gemeinsam mit dem Tierarzt Victor Daniels aufklärte und schon wird sie erneut mit einem mysteriösen Todesfall konfrontiert. Wer die ersten beiden Bände der Reihe nicht gelesen hat, erfährt kurz die wichtigsten Fakten rund um das ungleiche Duo - erfreulicherweise werden dabei keine Details zu den früheren Fällen genannt, sodass anschließend eine ungetrübte Lektüre erfolgen kann: Mabel ist eine pensionierte Krankenschwester, die finanziell eigentlich unabhängig ist, aber dennoch dem Junggesellen Victor Daniels den Haushalt führt. Das eindrucksvolle Anwesen Higher Barton wurde ihr im ersten Band von ihrer in Frankreich lebenden Cousine überlassen, nachdem Mabel dort ein skandalöses Verbrechen klärte. Higher Barton wird seither regelmäßig für gesellschaftliche Veranstaltungen vermietet und soll diesmal Schauplatz für Lord Carter Jones' Überraschungsparty werden.

Mabel ist der verstorbenen Lady Michelle zwar nur einmal begegnet, doch sie ist misstrauisch ob des angeblichen Suizids. Unter dem Vorwand der Kostenfrage für die bereits entstandenen Auslagen für die Party sucht sie Allerby House auf und wird von der Hausangestellten Angela versehentlich mit der erwarteten Pflegerin verwechselt. Mabel, als ehemalige Krankenschwester schließlich gewappnet für diese Situation, entschließt sich spontan, mitzuspielen - und hofft, im Laufe der nächsten Zeit nähere Erkenntnisse zum Tod von Lady Michelle zu gewinnen.

Die Ausgangslage fesselt den Leser in mehrfacher Hinsicht: Es erscheint nahezu unmöglich, dass sich der Selbstmord als Verbrechen erweist, da Lady Michelle offenbar vor der Tat Fenster und Tür verriegelte - man darf also gespannt sein, was sich zu diesem Szenario noch ergibt. Dazu gibt es lange Zeit kein erkennbares Motiv und damit keinen Verdächtigen: Lord Douglas liebte seine Frau offensichtlich sehr und ist durch seinen Rollstuhl ohnehin gehandicapt; seine Schwester lehnte Michelle zwar ab, doch Mabel traut ihr eine solche Tat nicht wirklich zu. Der zweite Tote, der kurz darauf auf dem Grundstück gefunden wird, ist ein Unbekannter, ein Bezug zu Lady Michelle völlig unklar - und doch ist es mehr als unwahrscheinlich, dass es sich hier um einen zeitlichen Zufall handelt. Zudem gerät Mabel immer wieder in Situationen, in denen ihre wahre Identität aufzufliegen droht - und sie gerät nicht zuletzt durch ihre Ermittlungen mal wieder in Gefahr.

Für Lesespaß sorgen auch die gelungenen Charaktere. Mabel hat wiederholt Gelegenheit, sich die üblichen Wortgefechte mit Victor Daniels zu liefern. Der wiederum gesteht ungern ein, wie besorgt er um Mabel ist. Mehr noch als in den beiden anderen Bänden wird angedeutet, dass der etwas verschrobene Junggeselle auf seine alten Tage in Mabel vielleicht inzwischen doch mehr sieht als nur eine gute Freundin und zuverlässige Haushaltshilfe. Der anfangs so verschlossene Lord Douglas taut nach und nach auf und Mabel erhält Einblicke in seine ungewöhnliche Beziehung zu Michelle. Lord Douglas ist nach wie vor ein sehr attraktiver Mann, der seit seinem Unfall verbittert ist. Erst durch Michelle - seine einstige Pflegerin - erhielt er den Lebensmut zurück. Ein von Michelle geforderter Ehevertrag sicherte ab, dass sie weder im Todes- noch im Scheidungsfall von seinem Vermögen profitiert hätte, was für ihre Liebe spricht - andererseits erhält Mabel Hinweise, die auf eine Affäre ihrerseits hindeuten könnten.

Interessant ist auch Lady Janes Rolle in diesem Szenario: nach dem frühen Tod der Eltern übernahm sie als junge Frau die volle Verantwortung für ihren acht Jahre jüngeren Bruder und verzichtete dafür auf ihr Eheglück. Diese Tatsache belastet das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester noch heute und Mabel ist unsicher, wie weit Lady Jane in ihrer Abneigung gegenüber Michelle wohl gegangen sein mag. Auch die sympathisch wirkende junge Hausangestellte Angela scheint etwas zu verbergen und Mabel hat alle Hände voll zu tun, um unauffällig hinter die Rätsel von Allerby House zu kommen. Es hat dabei seinen Reiz, dass es keine offenkundigen Verdächtigen gibt und sich doch nach und nach gewisse Geheimnisse auftun.

Die Schwächen fallen demgegenüber gering aus. Etwas übertrieben sind die doch recht intensiven Verweise auf Miss Marple, die hier zu dominant ausgespielt werden. Schon allein die Hauptfigur - rüstige, ältere und ledige Dame mit kriminalistischem Gespür - erinnert ohnehin stark an Agatha Christies Heldin, ebenso die Unterstützung durch einen Junggesellen und das liebevolle Wetteifern mit einem Polizeiinspektor. Das allein wäre noch nicht störend, allerdings zieht Chefinspektor Warden selbst die Parallele zwischen ihm und Inspector Craddock und Mabel verweist darauf, dass Mr. Stringer, dem hier ein wenig Victor Daniels entspricht, nur in den Verfilmungen mitspielt. Dazu kommt, dass auch die Handlung des Romans ein klein wenig an eine Miss-Marple-Geschichte erinnert: In der Rutherford-Verfilmung "16.50 Uhr ab Paddington" schleicht sich Miss Marple gleichfalls in einen wohlhabenden Haushalt ein, um dort zu ermitteln und auch dort gibt es einen kranken Hausherrn, der umsorgt werden muss und sich ähnlich mürrisch verhält wie hier anfangs Captain Douglas. Die Parallelen enden wohlgemerkt damit, doch zusammen mit der doch recht ähnlichen Hauptfigur wirken die explizit gezogenen Verweise ein bisschen zu plakativ - und unnötig, denn Mabel Clarence hat es gar nicht nötig, von Miss Marples Popularität zu profitieren.

Des Weiteren wirkt leicht konstruiert, wie einfach es Mabel gelingt, sich als Pflegerin einzuschleusen. Nicht nur, dass sie sofort verwechselt wird und keine Referenzen vorweisen muss; das Missverständnis fliegt auch nicht auf, als kurz danach die echte Pflegerin vor der Tür steht. Geschickter wäre es unter Umständen gewesen, wenn sich Mabel auf eine Stellenanzeige hin beworben hätte, statt dass hier mehrfach der Zufall bemüht wird. Gleichfalls etwas zu konstruiert ist es, wenn beispielsweise ein verräterisches Foto im Kamin nur teilweise verbrannt und daher für die spionierende Miss Mable noch gut erkennbar ist oder ein Geheimgang durch eine harmlose Bewegung entdeckt wird. Zu guter Letzt erscheint das Motiv des Täters sowie seine Vorgehsnweise ein bisschen weit hergeholt - in kriminalistischer Hinsicht ist das Buch daher kein Meisterwerk, was jedoch angesichts der restlichen Punkte verzeihlich ist.

Fazit:

Sehr gelungener Krimi mit hohem Unterhaltungspotential, der ein reizvolles Setting, interessante Charaktere und eine spannende Handlung vereint. Auch wer die ersten beiden Romane um Miss Mabel versäumt hat, kann hier ohne Verständnisprobleme einstiegen. Von kleinen Schwächen abgesehen sehr empfehlenswerte Lektüre.

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