12. Januar 2014

Komm, spiel mit mir - Paddy Richardson

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Produktfakten:

Ausgabe: 2012
Seiten: 429

Die Autorin:

Die Neuseeländerin Paddy Richardson arbeitete viele Jahre lang als Dozentin für Englische Literatur und Kreatives Schreiben. Nach "Der Frauenfänger" ist "Komm, spiel mit mir" ihr zweiter in Deutschland veröffentlichter Thriller.

Inhalt:

Die vierzehnjährige Stephanie und ihre Familie verbringen einen Sommertag mit Grillen und Baden am See. Während ihre Mutter Minna sich sonnt und die jüngeren Brüder spielen, passt Stephanie wieder einmal auf die vierjährige Schwester Gemma auf. Zwischen all den anderen Familien verliert Stephanie Gemma allerdings kurz aus den Augen. Als die Familie bald darauf nach Hause fahren will, ist das Mädchen verschwunden.

Gemmas Familie sucht die Gegend um den See ab, viele Freiwillige helfen, die Polizei wird verständig - doch Gemma bleibt verschwunden, niemand hat sie gesehen. Vor allem Stephanie ist verzweifelt und fühlt sich schuldig. Der Fall wird schließlich abgeschlossen; Gemma gilt als im See ertrunken, obwohl nie eine Leiche gefunden wurde.

Siebzehn Jahre später: Stephanie ist inzwischen als Psychiaterin an einer Klinik tätig. Ihre neue Patientin Beth entpuppt sich als besonders schwieriger Fall; lange Zeit will Beth nicht über ihre Probleme sprechen. Mit viel Geduld gelingt es Stephanie, ihr Vertrauen zu gewinnen. Es stellt sich heraus, dass auch Beth eine kleine Schwester hatte, die spurlos verschwand und angeblich ertrunken ist. Stephanie entdeckt immer mehr Parallelen zwischen den beiden Fällen - und ihr kommt allmählich ein Verdacht, wer der Täter sein könnte ...

Bewertung:


Paddy Richardsons Roman besitzt an sich alle Zutaten für einen hervorragenden Psychothriller, denn verschwundene kleine Kinder emotionalisieren so stark wie kaum ein anderes Thema - dennoch kann das Werk nur in Teilen überzeugen, auch wenn er wochenlang die neuseeländische Bestsellerliste anführte.

Dabei ist der Anfang durchaus vielversprechend und zieht den Leser direkt in die sommerliche Szenerie hinein: Grillende Familien am See, spielende Kinder, sonnenbadende Mütter und Teenager. Als Gemma beim Aufbruch nicht zu finden ist, ahnt zunächst niemand etwas Böses. Erst als sich die Familien nach und nach in ihre Autos setzen und niemand Gemma in den letzten Minuten gesehen hat, bricht langsam Panik aus. Der entspannte Sommertag wandelt sich in eine hektische Suchaktion und am Ende des Tages ist bei Gemmas Familie nichts mehr so, wie es mal war. In diesem frühen Stadium fällt es dem Leser leicht, sich mit Stephanie zu identifizieren. Die Vierzehnjährige fühlt sich mehr als alle anderen verantwortlich für das Verschwinden der kleinen Schwester, auf die sie so oft aufpassen musste. Stephanies unwillige Reaktionen auf die kritischen Fragen der Polizei und ihre Hilfslosigkeit sind gut nachvollziehbar - Stephanie erscheint als überforderter Teenager, der sich nicht damit abfinden kann und möchte, dass seine kleine Schwester einfach ertrunken und unauffindbar ist. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht ersichtlich, was tatsächlich mit dem kleinen Mädchen geschehen ist, ob sie jemand am See entführt hat oder ob es sich doch um einen Unfall handelt.

Dem Roman ist zugute zu halten, dass dieser Spannungsaspekt bis kurz vor Schluss erhalten bleibt. Stephanie entwickelt zwar einen dringenden Verdacht, doch es ist lange Zeit unklar, ob er sich bewahrheiten wird - und wenn ja, auf welche Weise Stephanie dies gelingt. Vor allem auf den letzten siebzig Seiten wird die Spannungsschraube noch einmal angezogen, die Ereignisse spitzen sich zu und es kommt endlich die ersehnte Thrilleratmosphäre auf. Gut herausgestellt werden auch die kleineren und größeren Konflikte innerhalb der Familie, die teilweise schon vor Gemmas Verschwinden für Probleme sorgten - Minnas Flirts und Affären mit anderen Männern und ihre Probleme mit dem Altern, Stephanies teenagertypische Unsicherheiten, Vater Daves Abwesenheit beim Picknick und seine daraus resultierenden Selbstvorwürfe. Gemmas Verschwinden ist zu viel für die ohnehin schon belastete Familie, es kommt unweigerlich zum Bruch.

Leider bedeutet der Zeitsprung von siebzehn Jahren in der Handlung zunächst einmal einen Rückschritt in der Qualität. War Stephanie als Teenager eine Figur, deren Handlungen sehr plausibel erschienen, fällt es zunehmend schwer, sich in sie hineinzuversetzen. Sicher ist es logisch, dass sie Gemmas Verschwinden noch nicht verarbeitet hat und zu einer zwar erfolgreichen Psychiaterin, aber auch zu einem bindungsunfähigen Workaholic geworden ist. Trotzdem fällt es nicht leicht, in ihre Gedankenwelt hinabzutauchen und sie bleibt vor allem zu blass als führende Protagonistin. Als Erwachsene ist Stephanie deutlich weniger sympathisch denn als unsicherer Teenager. Sie ist absolut kein Charakter, der länger im Gedächtnis bleibt und trotz ihrer tiefgehenden Probleme bleibt ihre Darstellung doch oberflächlich.

Des Weiteren schwankt die Handlung recht unentschlossen zwischen Thriller und Psychogramm. Vor allem in der Mitte des Romans liegt der Fokus auf Stephanies Selbstfindung, die Handlung gerät ins Stocken, die halbherzig eingebaute Liebesgeschichte wirkt unnötig. Interessanter sind eindeutig die Passagen, die sich mit der konkreten Suche nach Gemmas möglichem Entführer und Mörder befassen. Hier allerdings ist das Geschehen wiederum oft zu konstruiert. Stephanie muss gar keine Liste von Verdächtigen aufstellen, sondern bekommt durch ihre Patientin Beth den Namen des Mannes, der sowohl Gemma als auch Beth' Schwester kannte, auf dem Silbertablett präsentiert. Als derjenige zunächst unauffindbar ist, steigt die Spannung, doch dann gelingt es Stephanie im Gegenzug viel zu einfach, ihn ausfindig zu machen. Hier wurde die Möglichkeit verschenkt, Stephanie durch Recherchen und Überlegungen selbst auf den potentiellen Täter kommen zu lassen. Der Leser wird durch die Frage nach Gemmas Schicksal zwar bei der Stange gehalten, doch schleppt sich die Handlung immer wieder unnötig langsam dahin.

Gewöhnungsbedürftig ist darüber hinaus der durchgängige Präsensstil. In einer Kurzgeschichte, einem Gedicht oder in dramatischen Romansequenzen mag die Gegenwartsform ideal sein - in einem Werk von mehreren hundert Seiten, dessen erzählte Zeit sich über einen längeren Raum erstreckt, weckt sie eher einen Eindruck von Unruhe. Bei ansonsten großartigen Romanen mag dies nicht ins Gewicht fallen - hier dagegen ist es weiterer Kritikpunkt, der den Thriller nicht über den Durchschnitt hinaus hebt.

Fazit:


Ein thematisch interessanter Thriller, der allerdings nur zu Anfang und gegen Ende wirklich überzeugen kann. Der Mittelteil ist häufig zu langatmig, der Zufall spielt eine zu große Rolle, die Hauptfigur kann nur bedingt berühren. Für Genreleser solide Unterhaltung, sofern die Erwartungshaltung nicht zu hoch ist, aber es gibt zahlreiche weitaus bessere Thriller dieses Themas.

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