6. März 2014

SOKO im Einsatz: Der Fall Mirco und weitere brisante Kriminalgeschichten - Ingo Thiel

Produktinfos:

Ausgabe: 2012
Seiten: 224
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Die Autoren:

Ingo Thiel ist seit über zwanzig Jahren (Stand 2012) als Kriminalhauptkommissar in der Abteilung 11 für Tötungsdelikte in Mönchengladbach tätig. Der Fall Mirco ist bis dato sein bekanntester Fall. Thiel lebt mit seiner Familie bei Mönchengladbach.

Bertram Job, Jahrgang 1959, ist seit 1990 freier Journalist für Magazine und Zeitungen wie den Stern, Die Zeit und die Financial Times und Autor von Fachbüchern von Werken wie "Mystisches Island" und "365 Fußball-Tage".

Inhalt:

3. September 2010: Im nordrheinwestfälischen Grefrath kommt abends der zehnjährige Mirco nicht vom Spielen nach Hause. Am nächsten Tag wird nur sein Fahrrad gefunden, von ihm selbst fehlt jede Spur. Wenig später tauchen vereinzelte Kleidungsstücke auf - die Hoffnung auf eine gesunde Wiederkehr des Jungen liegt nun bei nahezu Null. Unter der Leitung von Kriminalhauptkommissar Ingo Thiel fahndet die Sonderkommission "Mirco" nach Hinweisen zu dem Täter. Die intensive Suche nach dem Jungen entwickelt sich zu einer der aufwändigsten Mordermittlungen der deutschen Kriminalgeschichte ...

21. Januar 1991: Der fünfzehnjährige Sascha aus Willich verschwindet nachmittags an einer Autobahnraststätte. Seine letzte Begleitung soll ein junger Mann gewesen sein, weitere Hinweise gibt es nicht. Zehn Jahre später bestärkt eine Aussage den Verdacht von Saschas Eltern, dass ihr ehemaliger Nachbar in die Tat verwickelt ist. Der Cold Case wird wieder aufgerollt ...

Anfang der neunziger Jahre: Innerhalb weniger Wochen werden ein zwölfjähriges Mädchen ermordet und ein neunjähriges überfallen, das den Angriff überlebt. Monate später geschieht ein ähnlicher Mord an der französischen Atlantikküste ...

"Wir haben 'nen Jungen weg ..."


Von vielen Mord- und Vermisstenfällen erfährt nur, wer sich intensiv mit dieser Thematik befasst. An dem "Fall Mirco" kam im Jahr 2010 jedoch kaum jemand kaum vorbei - ausführlich informierte die Presse von der ersten Meldung bis zur Verurteilung des Täters. Hauptkommissar Thiel erlangte durch diesen Fall "traurige Berühmtheit" und entschloss sich, mit diesem Buch über die Hintergründe der Polizeiarbeit zu informieren. Auch wenn nur sein Name das Cover ziert, formuliert hat in enger Zusammenarbeit der freie Journalist Bertram Job die Worte, die dennoch authentisch daherkommen.

Es ist nichts Neues, dass die Ermittlungsarbeit anders abläuft als in Fernsehkrimis und doch schadet es nicht, dies immer wieder bewusst zu machen. Der Leser erfährt viele Details zur Maschinerie, die knapp 150 Tage bis zur Festnahme quasi unsichtbar im Hintergrund abläuft, von ermüdendem Akten- und Datenstudium, aufwändiger Spurensicherung, Überprüfung tausender Fahrzeuge, Suchen mit Hundertschaften in Wäldern, Zeugenbefragungen und hilfreich gemeinten Tipps wie "Ich habe gerade eine Durchsage aus der Geistigen Welt erhalten: Die Zahl 79. Ohne weitere Zusammenhänge". Immer wieder predigt Thiel die Relevanz "flacher Hierarchie" und muss doch zugleich wie ein Mannschaftskapitän die Fäden zusammenhalten und auch in schwierigen Zeiten Optimismus ausstrahlen. Kleine Unstimmigkeiten im Team aufgrund mangelnder Absprachen und falsche Verdächtige werden nicht verschwiegen, noch weniger die emotionale Beteiligung der Ermittler, denen bei aller Abhärtung in bestimmten Momenten die Tränen kommen.

Thiel erwähnt auch, dass Mircos Eltern während der Ermittlungen längst nicht nur Sympathie und Mitleid in ihrem Umfeld entgegen schlug. Wer sich während der Suche nach Mirco in entsprechenden Internetforen zum Thema Kriminalfälle aufhielt, stieß in der Tat auf unzählige verständnislose bis bösartige Kommentare, die dies bestätigen. Eine Verkettung unglücklicher Zufälle sorgte dafür, das Mircos Fehlen erst am nächsten Morgen entdeckt wurde; grundsätzlich wurde heftig kritisiert, dass ein zehnjähriger Junge noch abends unterwegs sein durfte. Aussagen wie "Geschieht den Eltern recht" und Schimpftiraden (nicht selten in verstörender Auslegung der Rechtschreibregeln) stellten häufige Reaktionen dar, als seien Vorwürfe an die Eltern bei all ihrem Kummer jetzt tatsächlich von Relevanz. Auf ähnliches Unverständnis stößt bei vielen Menschen der tiefe Glaube der Eltern, den auch Mircos Schicksal nicht auszulöschen vermochte. Wenn Sandra und Reinhard S., Mitglieder einer Freikirche, verkünden, dem Täter vergeben zu haben, ist das in erster Linie bemerkenswert, darf Außenstehende aber gewiss auch befremden. Ob es angebracht ist, darüber (öffentlich) zu urteilen, steht jedoch auf einem anderen Blatt.

Aber nicht nur Hintergründe zu Mircos Eltern, sondern auch zum Hauptkommissar werden in dem Buch geliefert. Die Überstrapazierung gewisser "Schimanski-Klischees" hat Thiel dafür Kritik eingebracht und der Verdacht der Selbstdarstellung steht im Raum. Gewiss, der Leser erfährt einiges, was nicht unmittelbar mit den Ermittlungen in Verbindung steht, so etwa, dass Thiel Hobbyjäger ist und mit Chesapeake-Bay-Retrieverrüde Carlos auf die Pirsch geht (er verwahrt sich allerdings gegen die Parallele zur Mörderjagd), dass er während des Aktenstudiums gerne Unmengen von Zigaretten und Plätzchen konsumiert, dass seine Frau Uta abends Spaghetti mit Rucola-Pesto und Pinienkernen kocht und akzeptiert, dass sie ihn bei schwierigen Fällen wochenlang kaum zu Gesicht bekommt. Die Information, dass Thiel den überführten Täter mit einem knappen "Hab dich" begrüßt, wird auch nicht jedermann sympathisch finden.

Dass der Verlag ohne Absprache den Aufkleber "Deutschlands erfolgreichster Ermittler" auf dem Cover anbrachte, war dafür sicherlich auch nicht zuträglich und hat Thiel nach eigenem Bekunden geärgert. Unterm Strich erscheint es glaubwürdig, dass Thiel das Werk in erster Linie nutzen will, um für die schwierigen Hintergründe der Polizeiarbeit zu sensibilisieren und die Medienpräsenz nicht aus Eitelkeit, sondern zur Mobilisierung der Öffentlichkeit forciert.

Knapp 140 Seiten widmen sich der Soko Mirco, die verbleibenden 72 Seiten befassen sich mit zwei anderen Fällen aus früherer Zeit, die der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt sein dürften. Der Cold Case des vermissten fünfzehnjährigen Sascha bewegt vor allem wegen der Kälte des Täters, des erschreckenden Motivs und der Beteiligung eines unfreiwilligen Komplizen, der selbst zu einem Opfer des Mörders wurde. Anders gelagert ist der Fall des Mädchenserienmörders, der einst bei einem Geistlichen Beistand suchte und nicht von weiteren Taten abgehalten wurde und mit dem Thiel noch heute gelegentlich telefoniert - einmal, um ihm ein Stück Normalität zu geben und einmal, um möglichen weiteren Taten dieses Mörders auf die Spur zu kommen.

Nicht alle Kollegen verstehen die unspektakuläre Behandlung dieses Mannes, Thiel allerdings hält nichts davon, Menschen als Monster zu sehen und vertritt hier wie auch bei anderen Verbrechern die Ansicht: "Je mehr Würde wir ihm lassen, desto mehr werden wir von ihm hier erfahren". Bei aller Brisanz dieser beiden anderen Fälle wirken sie in diesem Buch ein wenig gezwungen und gehen in der Kürze ihrer Schilderungen etwas unter. Besser wäre es gewesen, Thiel hätte sich diese weiteren, kürzeren Fälle für einen zweiten Band aufgespart.

Es ist formal gesehen ein leicht zu lesendes Werk, wenn man sich auf die Thematik einlässt, und ist vermutlich bewusst so gestaltet, dass es eine breite Masse anspricht. Für alle Interessierten, die sich tiefer mit der Ermittlungsarbeit befassen möchten, gibt es detailfreudigere Werke, aber gerade für Einsteiger in die Materie ist "Soko im Einsatz" durchaus zu empfehlen.

Fazit:

Interessante Einblicke eines Ermittlers in drei Kriminalfälle, leicht zu lesen und gut für Einsteiger in das Thema geeignet. Für Leser, die bereits Erfahrung in dieser Materie haben, sind die Erkenntnisse unter Umständen etwas zu oberflächlich, grundsätzlich aber eine sehr lesenswerte Lektüre.

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