1. Juli 2014

Das Fräulein von Scuderi - E.T.A. Hoffmann

Produktinfos:

Ausgabe: 1998 (1819)
Seiten: 128
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Der Autor:

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann wurde 1776 geboren und starb 1822. Er studierte zunächst Jura und arbeitete als Referendar und Assessor. Dank seines musikalischen Talents brachte er es auch zum Kapellmeister, Theaterkomponist und Musiklehrer, daneben auch als Maler und Zeichner. Hoffmann zählt zu den bekanntesten und bedeutendsten Autoren der Romantik. Populäre Werke sind u.a. Die Elixiere des Teufels, Der Sandmann, Nußknacker und Mausekönig und Die Lebensansichten des Katers Murr.

Inhalt:

Paris im Jahr 1680: Unter der Regierung Königs Ludwig des XIV. sorgen zwei Mordserien für Angst und Schrecken in der Bevölkerung. Zunächst werden eine Reihe von Giftmorden verübt. Der König setzt mit der "Chambre ardente" eine polizeiliche Sonderkommission ein, die mit aller Härte gegen Verdächtige vorgeht und neben Schuldigen auch Unschuldige hinrichten lässt. Auf die Giftmorde folgt eine Serie von Raubmorden. Die Opfer sind meist adlige Männer, die mit einem Schmuckstück auf dem Weg zu ihrer Geliebten sind. Die Männer werden erstochen oder niedergeschlagen, der Schmuck geraubt; die Polizei steht den Vorgängen machtlos gegenüber.

In dieser Zeit gehört das Fräulein von Scuderi, eine ältere Dame, zum Kreis der Hofdichter des Königs. Eines Nachts bringt ein Unbekannter der Scuderi ein Kästchen, das kostbaren Schmuck enthält - dem beiliegenden Brief nach offenbar ein Geschenk der Mörderbande. Es handelt sich um Schmuck des berühmten Goldschmiedes Cardillac, der als außergewöhnlicher Künstler, aber auch als schwieriger Mensch gilt: Nur ungern gibt er die angefertigten Schmuckstücke an seine Auftraggeber heraus, bisweilen wird er sogar beleidigend oder grob. Cardillac kann der Scuderi jedoch nicht sagen, für wen er ihren Schmuck ursprünglich anfertigte.

Monate später bittet ein Unbekannter die Scuderi dringend, den Schmuck sofort an Cardillac zurückzugeben. Als Scuderi den Goldschmied aufsuchen will, gerät sie in einen Tumult: Cardillac wurde auf der Straße erstochen, sein Geselle Oliver Brusson als mutmaßlicher Täter verhaftet. Oliviers Verlobte Madelon, zugleich Cardillac Tochter, beschwört gegenüber der Scuderi seine Unschuld. Instinktiv glaubt ihr das Fräulein und ermittelt auf eigene Faust ...

Bewertung:

Spannung, Dramatik, interessante Charaktere und mannigfaltige Deutungsansätze - dies alles präsentiert E.T.A, Hoffmanns Novelle, die häufig als erste Kriminal- bzw. Detektivgeschichte der Literatur gilt. Freilich liegen hier einige der wesentlichen Merkmale einer Detektivgeschichte vor: Der am Ende aufgeklärte Mord, die Verdächtigen, die nicht-polizeiliche Ermittlerin Scuderi.

Das Fräulein von Scuderi erinnert jedoch nur auf den ersten Blick an moderne Kolleginnen wie Miss Marple. Tatsächlich basieren ihre Erkenntnisse weniger auf Fakten als mehr auf Intuition. Die Scuderi ermittelt und kombiniert nicht mit kühlem Verstand wie ein Sherlock Holmes, sondern lässt sich von ihren Eindrücken und ihrem Herz leiten. Interessanterweise ist sie keine Erfindung des Autors: Mademoiselle de Scudéry, die das gesegnete Alter von 94 Jahren erreichte, war in der Tat eine Dichterin der Barockzeit, die galante Gesellschaftsromane verfasste, die über die Grenzen Frankreichs hinaus beliebt waren. Bei Hoffmann erscheint die Scuderi als charmante, ältere Dame, die das Herz auf dem rechten Fleck trägt und die schnell zur Verbündeten des Lesers wird. Noch reizvoller als die Scuderi ist ohne Zweifel der mysteriöse Goldschmied Cardillac - ein genialer Künstler, der im Umgang mit Menschen offenbar umso so größere Defizite besetzt. Die Scuderi scheint er zu verehren, ansonsten erscheint er als schwieriger Charakter, der für seine Kunst lebt.

Sein junger Gehilfe Olivier Brusson ist der Polizei der ideale Verdächtige: Der niedergestochene Cardillac wird in seinen Armen gefunden, Olivier trägt die Tatwaffe bei sich. Der Polizei gilt er nicht nur als Mörder Cardillacs, sondern auch die früheren Verbrechen werden ihm zur Last gelegt. Die Scuderi sieht sich vor einer schweren Aufgabe, es scheint kaum möglich, Olivier zu entlasten. In dieser Phase der Handlung erwarten den Leser einige unerwartete Enthüllungen und Wendungen; selbst die Scuderi wird mehrfach überrascht und gerät phasenweise ins Schwanken, wem sie glauben und trauen darf. Trotz der kriminalistischen Elemente eignet sich die Erzählung weniger zum Mitraten. Wer es liebt, durch logische Schlüsse dem Täter auf die Spur zu kommen, wird hier eventuell enttäuscht werden. Die Scuderi gelangt vor allem durch Eingebung und Geständnisse zur Wahrheit, statt in traditioneller Detektivmanier Puzzlestücke aneinanderzufügen. So ist es denn auch weniger eine Detektivgeschichte als eher eine Erzählung, die die Themen Kunst, Genie, Wahnsinn, Psychologie und Gesellschaft aufgreift und in kriminalistisches Gewand verpackt.

Wie so häufig bei Hoffmann erwächst die Angst nicht aus einem per se unheilvollen Setting, sondern aus dem bürgerlichen Alltag. Akribisch hat Hoffmann die Zeitumstände erforscht und Lokalkolorit eingebaut. Die Gift- und Raubmorde sind die eine Seite der Medaille, die die Bevölkerung das Fürchten lehrt, die inquisitorische "Chambre ardente" ist die andere: Justiz dient hier nicht mehr der Gerechtigkeit, sondern bildet eine eigenständige Gewalt- und Willkürherrschaft. Offiziell soll die "Chambre ardente" für Ordnung sorgen, tatsächlich arbeitet sie mit Foltermethoden und lässt Unschuldige sterben. Gesellschaftskritik ist E.T.A., Hoffmann nicht fremd, als Jurist war er mit dem preußischen Rechtsapparat vertraut und konnte dessen Schwächen in der Novelle verschleiert darstellen, indem er die Handlung zur Zeit des Absolutismus spielen ließ. "Das Fräulein von Scuderi" ist eine beliebte Schullektüre und das sicher zu Recht, lässt sich doch hier in vielerlei Hinsicht über die Charaktere, den historischen Hintergrund Hoffmanns und der Handlung sowie über die Gattungsfrage der Detektivgeschichte diskutieren.

Anzukreiden ist dem Werk der bisweilen zu schwülstige und umständliche Stil. Sicher darf man von einem Werk aus der Romantik keine glatt polierte Sprache erwarten, doch Hoffmann schießt manches Mal ein wenig über das Ziel hinaus. Gewiss hätte es dem Werk gut getan, wenn einige Sätze etwas kürzer ausgefallen wären; auch die gehäufte Verwendung von Adjektiven nimmt phasenweise überhand.

Fazit:

Eine romantische Novelle im kriminalistisch-historischen Gewand, die eine unterhaltsame Lektüre und interessante Deutungsansätze mit sich bringt. Spannend zu lesen, wenngleich die Ermittlungen noch nicht der traditionellen Detektivgeschichte entsprechen. Die oft pathetische Sprache mit verschachtelten Sätzen kann das Lesevergnügen trüben.

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