9. März 2016

Das Haus - Richard Laymon

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Heyne Hardcore
Seiten: 272
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Der Autor:

Richard Laymon, 1947-2011, wurde in Chicago geboren und ist einer der meistverkauften Horrorautoren der USA. Er studierte englische Literatur und arbeitete unter anderem als Lehrer und Bibliothekar, ehe er sich dem Schreiben widmete. Er verfasste mehr als dreißig Romane, die überwiegend erst nach seinem Tod in Deutschland erschienen. Weitere Werke sind u. a. "Rache", "Die Insel", Das Spiel", "Die Show" und "Die Familie".

Inhalt:


Fünfzehn Jahre ist es her, dass im Sherwood-Haus in der Kleinstadt Ashburg eine Familie ermordet wurde. Der Täter wurde nie gefasst, und das Haus steht seither leer. Dieses Jahr richtet ein Unbekannter eine Halloween-Party dort aus. An der High School werden anonyme Einladungen an Schüler und Lehrer verteilt; viele sind neugierig, was sich dahinter verbirgt.

Auch der Teenager Eric plant, das Sherwood-Haus zu besuchen. Eric ist ein schüchterner Außenseiter, der oft von anderen Jungs Prügel kassiert. Auch zuhause ist Eric derzeit nicht glücklich: Seine Mutter Cynthia datet den Cop Sam und möchte gern, dass Sam und Eric sich näher kennenlernen - doch Eric ist nicht bereit, einen Ersatzvater zu akzeptieren und gibt sich stur.

Sam wiederum muss den Mord an seinem Kollegen Dexter aufklären, der zerstückelt in seinem Haus gefunden wurde. Er verdächtigt Dexters Exfrau, doch die Spur führt schließlich ins Sherwood-Haus. Kurz vor seinem Tod soll Dexter das verlassene Haus betreten haben ...

Bewertung:

Natürlich kommen bei einem Mordhaus, das viele Jahre später an "Allhallow's Eve" erneut zum Schauplötz von Morden wird, unweigerlich Assoziationen zum Horror-Kultfilm "Halloween", aber bei diesen grundsätzlichen Parallelen bleibt es dann auch. Richard Lamyons Werke stehen für harten, kompromisslosen Horror, gerne garniert mit expliziten Sexszenen. Horror in Form von blutigen Morden gibt es hier reichlich, in Sachen Sexszenen hält sich Laymon vergleichsweise zurück, sieht man von einigen Phantasien pubertierender Schüler ab.

"Das Haus" ist in erster Linie ein geradliniger, recht unterhaltsamer Horror-Roman, der an einigen Punkten sein Potenzial nicht nutzt und somit im Durchschnittsbereich hängen bleibt. Über weite Strecken ist das Werk spannend, da zunächst unklar ist, wer die Halloween-Party ausrichtet, was dort genau passieren soll und wer von den Charakteren schließlich alles sein Leben lassen muss. Der Leser besitzt einen gehörigen Wissensvorsprung gegenüber den Figuren, hat er doch auf den ersten Seiten den Mord an Dexter im Sherwood-Haus miterlebt und weiß somit, dass ein Mörder dort sein Unwesen treibt. Freilich wirkt das Sherwood-Haus auf die Einwohner unheimlich aufgrund seiner Geschichte, und nicht allen ist wohl bei dem Gedanken, dort eine Halloween-Party zu besuchen. Trotzdem ahnt niemand außer dem Mörder, was sich dort abspielen wird, niemand ahnt etwas von den Morde, die sich in den Tagen vor der Party dort bereits ereignet haben. Für den Leser wächst entsprechend die Vorfreude auf die Party, die die Gäste wie ahnungslose Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank besuchen werden.

Wirklich tiefgründig sind Laymons Werke kaum, dennoch kommt mit Erics Problemen phasenweise eine gewisse Ernsthaftigkeit auf. Der Teenager leidet darunter, seinen Vater nie kennen gelernt zu haben, nicht wissend, dass er durch eine Vergewaltigung entstand. Er hofft auf ein Treffen mit seinem unbekannten Vater und lehnt Sam entsprechend als Ersatzvater ab. Eric ist keine reine Sympathiefigur, doch es kommt Verständnis für seine Gefühle auf. Nachvollziehbar sind größtenteils auch Sams Gedanken. Er ist glücklich mit Cynthia, unterschätzt allerdings zunächst die sich anbahnenden Schwierigkeiten mit dem widerwilligen Eric. Erst allmählich dämmert Sam, auf was für eine komplizierte Situation er sich mit der alleinerziehenden Cynthia eingelassen hat, und daneben bestimmt auch noch die Suche nach Dexters Mörder sein derzeitiges Leben. Es stört zwar ein wenig, wie schnell Sam parallel Interesse für die hübsche Melody entwickelt, die er im Zuge der Ermittlungen trifft, ansonsten ist er aber einer der Charaktere, um die man durchaus bangt.

Langeweile kommt während der flotten Lektüre nicht auf, doch das Werk kann trotzdem nicht allen Erwartungen standhalten. Störend ist das sehr abrupte Ende, überhaupt ist das Finale im Sherwood-Haus zwar blutig, hätte aber noch atmosphärischer inszeniert werden können. Die Dekorierung, die auf Edgar Allan Poes "Hopp-Frosch" anspielt, ist eine nette Idee, ansonsten aber ist die Party eher lieblos und wird zu schnell abgehandelt; da waren die zuvor geschilderten Morde im Haus deutlich interessanter. Auf der letzten Seite werden zudem einige wichtige Ereignisse in einer äußerst knappen Zusammenfassung wiedergegeben, was den lieblosen Charakter des Endes unterstreicht. Sogar einen nicht unwichtigen Mord erfährt man erst an dieser Stelle, was hauptsächlich Verärgerung auslöst statt Überraschung oder Betroffenheit. Weniger gewichtig, aber nicht irrelevant ist zudem die Frage, wie glaubwürdig es ist, dass so bereitwillig eine anonyme Party in einem verlassenen Haus besucht wird. Schade ist zudem, dass das Verhältnis zwischen der netten, unscheinbaren Beth und Eric nicht weiter beleuchtet wird; zwischen den beiden keimt eine Art Freundschaft auf, als sie ihn als Date für die Party auswählt, dieser Aspekt wird dann aber doch eher oberflächlich behandelt.

Fazit:

Wer einen blutigen und kurzweiligen Horror-Roman sucht und nicht viel Tiefgang erwartet, darf ruhig zugreifen. Allerdings gibt es auch bessere Werke von Richard Laymon, und das Ende ist auch bei gemäßigten Erwartungen etwas zu lieblos erzählt.

8. März 2016

Der Psychopath - Bram Dehouck

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei btb
Seiten: 192
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Der Autor:

Bram Dehouck (Belgien), Jahrgang 1978, studierte Journalismus und veröffentlichte 2007 sein erstes Werk, einen Tatsachenroman über die Amnesie seiner Schwester. Im Jahr 2009 erschien sein erster Kriminalroman, der gleich mit Preisen bedacht wurde. 2011 folgte der Krimi "Sommer ohne Schlaf", der ebenfalls ausgezeichnet wurde.

Inhalt:


Der elfjährige Sam ist ein schwieriger Junge, das haben seine Eltern Chris und Charlotte schon früh gemerkt. In der Schule ist er ein Außenseiter, er reagiert oft aggressiv und zeigt kaum Empathie. Allerdings gehen seine Eltern unterschiedlich damit um: Während Charlotte Verständnis zeigt und glaubt, dass Sam in erster Linie durch Mobbing so reagiert und ihm eine Therapie helfen kann, hält Chris seinen Sohn für einen unheilbaren Psychopathen, der mit der Zeit immer schlimmere Dinge tun wird.

Der Höhepunkt ist erreicht, als Sam seiner Katze den Bauch aufschlitzt. Seine Mutter nimmt ihn nach wie vor in Schutz, doch Chris sieht in seinem Sohn einen zukünftigen Mörder. Der familiäre Konflikt eskaliert, Charlotte verlässt ihren Mann und zieht mit Sam in eine eigene Wohnung.

Kurz darauf erscheint eine völlig aufgelöste Charlotte auf dem Polizeirevier. Chris hat Sam von der Schule abgeholt, und die beiden sind unauffindbar. Charlotte ist überzeugt davon, dass Chris seinen Sohn umbringen will. Eine fieberhafte Suche nach den beiden beginnt ...

Bewertung:


Psychopathen begegnet man in Thrillern alle naselang, auch jugendliche oder kindliche Psychopathen hat es in Büchern und Filmen schon gegeben. Recht originell an Bram Dehoucks Werk ist dagegen, dass es hier weniger um die kriminellen Taten jenes Psychopathen geht als vielmehr um den geplanten Mord an ihm durch den eigenen Vater.

Spannung ist von Beginn an gegeben und sie hält sich auch durchgängig bis zum Schluss. Für den Leser stellen sich vor allem die Fragen, ob die Polizei Chris und Sam noch rechtzeitig finden und ob Chris sein Vorhaben wirklich durchzieht oder vielleicht von selbst ablässt. Offen ist zudem, wie lange Chris seinen Plan vor Sam verbergen kann und wie sein Sohn reagiert, wenn er die Gefahr erkennt. Des Weiteren wird nach und nach Chris' brisante Vergangenheit aufgedeckt. In Rückblenden zeigt sich, dass er als Kind ganz ähnliche Verhaltensweisen zeigte wie sein Sohn, und man darf gespannt verfolgen, was sich alles für düstere Taten bei Chris offenbaren.

Die Grundkonstellation, dass ein Vater seinen Sohn umbringen will, schockiert und bewegt gleichermaßen. Man kann Chris kaum wünschen, dass ihm sein Plan glückt; zugleich begreift man aber auch, dass er tatsächlich der Meinung ist, das einzig Richtige zu tun. Er weiß nur zu gut, wie gefährlich die Anlagen sind, die sein Sohn bereits mit elf Jahren zeigt, und er will Sams Umwelt schützen. Sam ist clever und versteht es, Psychologen durch seinen Charme zu täuschen. Niemand außer Chris sieht, wie gefährlich Sam wirklich ist, niemand außer ihm begreift den Ernst der Lage. Weder von Sams Mutter noch von therapeutischer Seite ist Hilfe zu erwarten - die Verzweiflung und die Angst des Vaters sind gut nachzuvollziehen, und doch kann man ihm kaum guten Gewissens wünschen, dass er seinen Sohn ermorden wird. Dieses moralische Dilemma hat durchaus das Potenzial dafür, nach er Lektüre noch ein bisschen weiterzuwirken und im Gedächtnis des Lesers haften zu bleiben.

Das Ende kommt schnell daher, und trotzdem ist es zufriedenstellend und vor allem wirkungsvoll. Gewiss hätte man die Handlung noch ein wenig weiterführen können, doch alles Wichtige wird gesagt, alle relevanten Fragen werden beantwortet - und letztlich bleibt nach Abschluss das Gefühl, der Roman hätte auch nicht anders enden dürfen. Der Stil ist geradlinig, erfordert keine große Konzentration und beschert eine flüssige, schnelle Lektüre.

Es ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, dass zwischen mehreren Strängen hin und her gesprungen wird: In der Gegenwart begleitet der Leser einerseits Chris und Sam, andererseits wird immer wieder zu Charlotte und den Ermittlern geschaltet, die sich zur gleichen Zeit Charlottes Geschichte anhören und nach Chris und Sam suchen. Andere Kapitel springen zurück in die Vergangenheit und zeigen Szenen aus dem Alltag der Familie, in denen sich Sams Andersartigkeit verdeutlichte. Und schließlich gibt es noch die Kapitel, die noch weiter in die Vergangenheit gehen und Einblicke in Chris' Kindheit gewähren: Hier sieht der Leser, dass Chris so sensibel auf die Taten seines Sohnes reagiert, weil er sich selbst darin wiederfindet und daher viel früher als seine Frau merkt, wie gefährlich Sam einmal werden kann.

Während das Werk in Sachen Spannung sehr überzeugt, gibt es Schwächen bei den Charakteren. Nur von Vater Chris erhält man ein detailliertes und komplexes Bild, seine Frau und insbesondere Sam, der ja eine zentrale Rolle spielt, bleiben blass. Sowohl Charlotte als auch Sam wirken eindimensional; Charlotte schlägt sich ausnahmslos auf die Seite ihres Sohns und ist blind für Chris' Sichtweise, bei Sam wiederum ist es schade, dass seine charmante Seite ehe behauptet als gezeigt wird. Der Leser erfährt zwar, dass es Sam gelingt, Erwachsene um den Finger zu wickeln und zu täuschen, erlebt dies aber in der Regel nicht mit. Gewiss hätte es dem Roman gutgetan, Sam noch ein wenig interessanter zu präsentieren.

Fazit:

Ein unterhaltsamer Thriller, der sich schnell lesen lässt, eine reizvolle Thematik mitbringt und durch Spannung überzeugt. Kleine Abzüge gibt es für die größtenteils zu flachen Charaktere, deren Potenzial nicht ausgeschöpft wird.

3. März 2016

Rain - Das tödliche Element - Virginia Bergin

Produktinfos:

Ausgabe: 2015
Seiten: 416
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Die Autorin:

Virginia Bergin (England) studierte Psychologie, ehe sie das Schreiben für sich entdeckte. "Rain" ist ihr erster Roman.

Inhalt:


Die fünfzehnjährige Ruby aus dem ländlichen Dartbridge führt ein typisches Teenagerleben, bis eine weltweite Katastrophe ausbricht und schlagartig alles verändert. Ein für Menschen tödliches Virus ist in die Atmosphäre gelangt und verseucht den Regen. Wer mit Regenwasser in Berührung kommt, beginnt kurz darauf zu bluten und stirbt binnen weniger Stunden unter großen Schmerzen. Es gibt kein Gegenmittel.

Ruby ist gerade auf einer Party bei Freunden, als die Nachricht eintrifft. Die Mutter ihres Schulfreundes fährt sie nach Hause, zu ihrer Mutter, Stiefvater Simon und ihrem kleinen Bruder Henry. Während im Fernsehen immer nur die Anweisung wiederholt wird, die Häuser nicht zu verlassen, bricht auf den Straßen Chaos aus, und das Internet funktioniert nicht mehr.

In den nächsten Tagen muss Ruby erleben, dass sich erst ihre Mutter und ihr kleiner Bruder und später ihr Stiefvater infizieren und sterben. Allein auf sich gestellt, hat sie nur noch ein Ziel: Sie will nach London zu ihrem Vater und ihrem Halbbruder gelangen. In einer Welt, die jegliche Struktur verloren zu haben scheint, kämpft sich Ruby nach London durch ...

Bewertung:

Endzeitszenarien sind beliebte Sujets für Bücher und Filme, gerne resultierend aus einer Zombie-Invasion. Das Szenario, in dem die Strukturen der Zivilisation zusammenbrechen und das Gesetz des Stärkeren zählt, ist also beileibe keine neuer Aspekt in Virginia Bergins Jugendthriller; doch hier sind es keine Zombies, sondern ein tödlicher Regenvirus, der dies alles auslöst.

Die fünfzehnjährige Ruby steht deutlich im Mittelpunkt, zumal sie auch als Ich-Erzählerin fungiert und den Leser regelmäßig anspricht. Sie erzählt rückblickend das Geschehen, ohne dass dem Leser von vornherein klar wäre, aus welcher aktuellen Situation heraus sie dies tut. Außer, dass sie offenbar überlebt hat, ist also zunächst alles offen - wer von ihrer Familie und ihren Freunden überlebt hat, ob sie ihren Vater und ihren Halbbruder gefunden hat, ob ein Heilmittel gegen den Regen gefunden wurde und wie sich die Zivilisation entwickelt hat.

Schnell begreifen sowohl Ruby als auch der Leser, wie fatal die neue Lage der Welt ist: Bereits wenige Regentropfen reichen offenbar aus, um das tödlichen Virus zu übertragen. Mehr noch, auch durch Berührungen infizierter oder toter Menschen kann die Krankheit ausgelöst werden, und natürlich darf kein Leitungswasser mehr genutzt werden. Auch nach einem Regenschauer ist die Gefahr noch nicht gebannt, schließlich lauert in jeder Pfütze der Tod, und Obst und Gemüse, die dem Regen ausgesetzt waren, sollten vorsichtshalber auch gemieden werden. Bis auf die ersten Warnungen in TV und Radio existiert kein Informationssystem, zumindest in Rubys Gegend sind die Menschen auf sich allein gestellt und müssen selbst herausfinden, wie sie am besten überleben. Die Nahrungsmittelvorräte in den Häusern gehen schnell zur Neige, entsprechend werden Supermärkte geplündert und Beute wird teils mit Waffengewalt verteidigt.

Innerhalb weniger Stunden hat sich die Welt in einen trostlosen Ort verwandelt, und Ruby sieht innerhalb der ersten Tage bereits so viele Tote, dass sie das Zählen einstellt. Sehr bewegend ist die Szene, in der Ruby realisiert, dass ihre Mutter und ihr Bruder über Nacht gestorben sind. Mit ihrem Stiefvater Simon hatte sie bislang ein schlechtes Verhältnis, war er doch für sie in erster Linie ein Miesmacher und Besserwisser. Notgedrungen raufen sich die beiden zusammen und werden innerhalb weniger Tage zu einem erstaunlich guten Team, bis auch er ihr entrissen wird. Ruby hat nun keinen Vertrauten mehr in der Nähe, jeder Fremder könnte ein Feind sein, der für Vorräte zum Töten bereit ist.

"Rain" kann problemlos von Erwachsenen gelesen werden, richtet sich jedoch insbesondere an Jugendliche, die sich etwa in Rubys Alter befinden. Entsprechend erzählt Ruby überwiegend in einem etwas schnodderigen, ironischen Tonfall; beispielsweise sind ihr oft teenagertypische Dinge peinlich, sie denkt über ihr Aussehen nach, überhaupt möchte sie gerne, trotz der Situation, möglichst "cool" wirken. Das ist mitunter recht witzig, vor allem im Zusammenspiel mit einem späteren Verbündeten, bei dem es sich ausgerechnet um den schulbekannten Nerd Darius handelt. Unter gewöhnlichem Umständen würde Ruby den streberhaften Darius keines Blickes würdigen, nun müssen sich die beiden gemeinsam nach London durchschlagen, begleitet von einem etwa neunjährigen, vor Schock stummen Mädchen, das sich Darius angeschlossen hat. Es ist amüsant zu lesen, wie sich aus Rubys anfänglicher Abneigung beinah widerwillig eine Sympathie für Darius entwickelt. Zu Beginn ist Darius für Ruby einfach ein trotteliger Streber, der sich ausgerechnet in der Schule sein Lager eingerichtet hat. Doch die beiden ergänzen sich gut, und schließlich registriert Ruby verwirrt und beschämt, dass sie Darius sogar gar nicht mal unattraktiv findet; diese Annäherung sorgt für den nötigen auflockernden Humor inmitten der düsteren Ereignisse. Überhaupt ist Darius ein gelungener Charakter; er ist clever, vernünftig, liebenswert und man hofft, dass er nach dem Verlust seiner Familie einen Weg finden wird, in dieser Welt zurechtzukommen.

Allerdings wird mit Einsatz dieses witzig-locken Tonfalls und Rubys Teenagerproblemen übertrieben, was auf Dauer etwas nervt. Es ist nicht realistisch, wie sehr sie sich auch nach dem Tod ihrer Mutter, ihres kleinen Bruders und ihres Stiefvaters noch um ihr Aussehen sorgt, sodass sie sogar kostbares Wasser zum Haarefärben benutzt. Auch dass sie noch auf dem Weg zu ihrem Dad eine Shoppingtour nicht lassen kann, ist angesichts der Lage eher lächerlich. Das gilt auch für ihren späten Entschluss, sich mit Darius zusammenzutun - es ist kaum glaubhaft, dass sie lieber allein ist, als sich mit einem in ihren Augen uncoolen Nerd abzugeben. Ruby soll zwar bewusst einen durchschnittlichen Teenager darstellen, mit allen Ecken und Kanten, aber durch diese Anwandlungen wird sie phasenweise unsympathisch und unglaubwürdig. Der Schluss wirkt überdies zunächst ein bisschen frustrierend - aber nur solange, bis man sich vor Augen hält, dass 2016 die Fortsetzung erscheint, Rubys Geschichte also noch nicht auserzählt ist.

Fazit:


Ein grundsätzlich gelungener, sehr spannender erster Band einer für Jugendliche konzipierte Horrorthriller-SF-Reihe, der gut unterhält und sowohl witzig als auch bewegend ist. Störend fällt allerdings auf, dass die Protagonistin sich angesichts der Lage zu oft mit Oberflächlichkeiten beschäftigt und sich bisweilen zu unrealistisch verhält.

1. März 2016

Todesstiche - Nina Darnton

Produktinfos:

Ausgabe: 2015 bei Goldmann
Seiten: 288
Buchandel.de
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Die Autorin:

Nina Darnton (USA) hat jahrzehntelang als Journalistin gearbeitet, u. a. für die New York Times. Des Weiteren hat sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, Schriftsteller und Journalist John Darnton, zahlreiche Länder bereist.

Inhalt:

Die ehemalige Schauspielerin Jennifer führt ein glückliches Familienleben in Philadelphia mit ihrem Ehemann Mark und den drei Kindern Emma, Lily und Eric, bis ein nächtlicher Anruf die heile Welt zusammenbrecht lässt: Die einundzwanzigjährige Emma, seit acht Monaten als Austauschstudentin im spanischen Sevilla, wurde in einen Mordfall verwickelt und in Haft genommen.

Sofort fliegt Jennifer zu ihrer Tochter, während Mark später nachkommen will. Jennifer erfährt, dass in Emmas Wohnung ein junger Mann erstochen wurde. Laut Emmas Aussage wollte er sie vergewaltigen, ehe ein Passant von der Straße sich Zugang verschaffte und ihn in Notwehr tötete. Da Emmas Retter als Algerier Ärger mit den Behörden fürchtete, flüchtete er, ohne eine Aussage zu machen oder Kontaktdaten zu hinterlassen.

Jennifer glaubt ihrer Tochter und hofft, dass mit Hilfe des spanischen Anwaltes José und dem Privatermittler Roberto bald alles geklärt und ausgestanden ist. Doch die Polizei entdeckt Widersprüche in Emmas Aussagen. Bald erfährt Jennifer, dass Emma in Spanien längst nicht das mustergültige Leben führte, das sie vorgab. Sie ist hin- und hergerissen, ob sie ihrer Tochter glauben soll ...

Bewertung:

Die Grundhandlung von Nina Darntons "Todesstiche" lässt unweigerlich an die realen Ereignissen um den Mordfall Meredith Kercher im italienischen Perugia denken. 2007 wurde die amerikanische Austauschstudentin Amanda Knox gemeinsam mit ihrem damaligen Freund Raffaele Sollecito des Mordes an Amandas WG-Partnerin Meredith beschuldigt, die in der Wohnung erstochen wurde. Während die italienischen Medien Knox als gefährliche Femme fatale stilisierten, erfuhr die Studentin seitens der heimischen Presse überwiegend deutliche Verteidigung. Nach einigem juristischen Hin und Her sowie fehlerhaften Ermittlungen wurden Knox und Sollecito mittlerweile letztinstanzlich freigesprochen, wenngleich die öffentliche Diskussion um den Fall und die Spekulationen über eine mögliche Beteiligung noch lange nicht abgeebbt sind.

In Nina Darntons Roman dreht sich das Geschehen gleichfalls eine einundzwanzigjährige amerikanische Austauschstudentin, in deren Wohnung jemand erstochen wurde. Während die amerikanischen Medien Emmas Version vehement unterstützen, wird die junge Frau von italienischen Medien als promiskes Partygirl porträtiert. Freilich gibt es auch genug Unterschiede zum Kercher-Mordfall, sodass nur von einer losen Inspiration gesprochen werden kann und keinesfalls von einer belletristischen Adaption. Im Fokus steht hier, wie der Originaltitel "The perfect mother" verrät, zudem weniger Emma Lewis als vielmehr ihre Mutter Jennifer. Der Roman dreht sich einerseits um die Frage, ob Emma schuldig ist und ob sie verurteilt wird und andererseits darum, welche Sichtweise Jennifer einnimmt. Während Ehemann Mark sich rasch an frühere Verfehlungen Emmas erinnert und sie nicht per se für unschuldig hält, beharrt Jennifer sehr lange auf dieser Ansicht. Der Leser wiederum zieht seine eigenen Schlüsse, die nicht notwendigerweise mit Jennifers übereinstimmen.

Die Stärke des Romans ist seine Spannung, die dazu einlädt, die knapp 300 Seiten an ein, zwei Tagen herunterzulesen. Durch den recht geradlinigen Verlauf, der keine besondere Konzentration erfordert, eignet sich "Todesstiche" etwa sehr gut als Lektüre für Bahnfahrten. Nachdem Emma ihre Version dargeboten hat, ergeben sich im Verlauf der nächsten Wochen immer wieder neue Ungereimtheiten, die allerdings nicht zwingend so eindeutig sind, dass Emma als Lügnerin überführt wäre. Ihre konkrete Rolle und der genaue Ablauf der Tatnacht sind dementsprechend sehr lange offen; das Hin und Her zwischen den Vorwürfen und entlastenden Erklärungen wird fesselnd dargeboten, der Unterhaltungsfaktor ist hoch. Gelungen ist zudem die Darstellung Sevillas; es fließen einige Informationen zur Stadt und ihrem Flair ein.

Weniger überzeugend ist das Werk indessen in Sachen Charakterzeichnung. Weder Jennifer noch Emma sind sonderlich sympathisch. Anfangs ist es noch sehr verständlich, dass Jennifer fest an ihre Tochter glaubt; allerdings nervt diese Naivität nach einer Weile, nachdem einige Lügen und frühere Verfehlungen Emmas aufgetaucht sind und Jennifer ein wenig die Augen geöffnet haben sollten. Es wäre sicherlich reizvoller gewesen, wenn Emma dem Leser sympathisch wäre, damit man besser mit ihr mitfiebern kann. Sie präsentiert sich allerdings in erster Linie als verwöhnt und bockig, ihr Schicksal geht nicht wirklich ans Herz - phasenweise wünscht man ihr beinah, der Beteiligung überführt zu werden.

Mark Lewis ist nicht unsympathisch, aber er bleibt blass und wirkt gleich bei seinem ersten Auftreten unrealistisch: Als er und Jennifer mitten in der Nacht von einer verstörten Emma in wenigen Sätzen über die Situation informiert werden, reagiert Jennifer angemessen geschockt, Mark dagegen so souverän und ruhig, dass es irritiert. Ein grundsätzlich interessanter Charakter ist der Privatermittler Roberto, der auf Jennifer eine sehr beruhigende Wirkung hat und ihr Hoffnung schenkt. Allerdings ist es eher unnötig, dass Jennifer bei allen Schwierigkeiten auch noch unangemessene Gefühle für ihn entwickelt.

Fazit:

Wenn man keine hohen Erwartungen in Sachen Charakterzeichnung hat, erwartet den Leser ein kurzweiliger und spannender Thriller, der zur schnellen Lektüre einlädt.