26. August 2016

Anders - Anita Terpstra

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Blanvalet
Seiten: 384
Buchhandel.de
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Die Autorin:

Anita Terpstra aus den Niederlanden, Jahrgang 1975, studierte zunächst Journalismus und Kunstgeschichte und arbeitete als Journalistin. Ihre weiteren Werke sind bislang (Stand 2016) noch nicht auf Deutsch erschienen.

Inhalt:


Die Meesters aus den Niederlanden sind scheinbar eine glückliche Familie wie aus dem Bilderbuch - Mutter Alma, Vater Linc, die fünfzehnjährige Iris und der elfjährige Sander. Das Leben der Familie ändert sich jedoch mit einem Schlag, als Sander während einer Ferienlager-Nachtwanderung mit seinem besten Freund verschwindet. Der Freund wird kurz darauf tot im Wald gefunden, von Sander gibt es keine Spur.

Sechs Jahre später taucht ein Junge bei der Polizei auf und gibt sich als der vermisste Sander aus. Er erzählt, dass er von einem Mann in einem Wald gefangen gehalten und missbraucht wurde, ehe der Mann verstarb und er somit endlich gehen konnte. Alles deutet darauf hin, dass es tatsächlich Sander ist, und er wird wieder mit seiner Familie vereint.

Vor allem Alma ist überglücklich, ihren Jungen wiederzuhaben, während Iris ihrem nun siebzehnjährigen Bruder eher distanziert begegnet. In den nächsten Wochen bemüht sich die Familie, Sander in sein neues Leben einzugewöhnen. Doch nach dem ersten Überschwang kommen Alma allmählich Zweifel: Sagt Sander in allen Belangen die Wahrheit, oder hat er etwas zu verbergen? Immer mehr deutet sich an, dass Sanders Geschichte nicht in allem stimmig ist ...

Bewertung:


Die meisten Entführungsthriller befassen sich intensiv mit der Suche nach dem Opfer und dem Täter. "Anders" von Anita Terpstra ist tatsächlich anders, denn die eigentliche Handlung setzt erst ein, als das Opfer wieder aufgetaucht ist. Der Roman dreht sich einerseits um die Probleme, die neben der ersten Freude durch eine solch überraschende Wende entstehen, andererseits dreht er sich um die Suche nach der Wahrheit, was in jener Nacht wirklich geschah und ob Sander tatsächlich (nur) Opfer war.

Der erste Punkt ist eher Familiendrama denn Thriller. Natürlich herrscht erst einmal große Freude bei den Meesters, schließlich hatte kaum noch jemand gehofft, Sander lebend wiederzusehen. Doch sechs Jahre sind eine lange Zeit: Aus dem pummeligen Elfjährigen, der am liebsten allein mit seinem Rad durch die Natur fährt, ist ein stiller junger Mann geworden, mit dem seine Angehörigen nicht recht umzugehen wissen. Alma und Linc haben auf Almas Drängen in der Zwischenzeit noch ein drittes Kind bekommen, den kleinen Bas, der zweifellos eine Art Sander-Ersatz darstellen sollte. Die Ehe hat Sanders Verschwinden indessen nicht verkraftet, Alma und Linc sind getrennt; überdies wurde Linc von den Ermittlern verdächtigt und verlor seine Arbeit - aus dem dynamischen Arbeitsmensch ist ein antriebsloser, depressiver Mann geworden. Sander kehrt also nicht heim in eine heile Familie, sondern wird mit komplizierten Verhältnissen konfrontiert. Die Familie tut sich schwer, mit Sander zu reden, er ist verschlossen, gibt nur das Nötigste über die vergangenen sechs Jahre preis. In realistischer Weise zeigt der Roman die Schwierigkeiten auf, die das Auftauchen eines Vermissten mit sich bringen kann.

Schon bald aber halten auch bedrohliche Elemente Einzug in die Handlung, die für viel Spannung sorgen. Kurze Rückblicke in die Zeit vor Sanders Verschwinden verdeutlichen, warum Iris ihrem Bruder so distanziert begegnet. Das Familienleben war mitnichten so harmonisch, wie es nach außen hin den Anschein pflegte, stattdessen gab es immer wieder bedenkliche Zwischenfälle mit Sander, die aber außer Iris niemand richtig einzuordnen wusste. Es ist offensichtlich, dass Sander zu gefährlichen und bösartigen Dingen fähig war - und möglicherweise immer noch ist. Alma hat davor zwar damals die Augen verschlossen, aber nun fallen ihr zumindest immer wieder Widersprüche auf, die Sander bezüglich seiner Entführung erzählt - und sie fragt sich, ob er sich nur falsch erinnert oder ob er bewusst lügt.

Zudem gibt es immer wieder Andeutungen, dass Iris und ihr damaliger Freund Christiaan etwas in jener Nacht im Ferienlager getan haben, was mit Sander zu tun hat und was sie verborgen halten wollen - um was es sich dabei handelt, erfährt der Leser erst spät. Schließlich kommt auch noch die Frage auf, ob es sich überhaupt um Sander handelt. Ein DNA-Test wurde nicht gemacht, da Sanders Geschichte stimmig schien, er optische Ähnlichkeit mit dem elfjährigen Sander aufwies und ihm genau wie Sander eine Fingerkuppe fehlte. Doch nach einer Weile ertappt sich Alma bei der Frage, ob sie es nicht vielleicht doch mit einem Betrüger zu tun haben.

Anita Terpstra versteht es glänzend, den Leser mit sich steigender Spannung zu fesseln, die Situation immer bedrohlicher zu gestalten, ohne dass allzu früh zu viel verraten würde. Am Ende gibt es mehrere Wendungen und Enthüllungen, die sich teilweise schon angedeutet haben; der Schluss hält aber auch Überraschungen bereit und ist vor allem sehr konsequent statt weichgespült. Man kann kritisieren, dass die Dramatik etwas gekünstelt wirkt, ist sie doch sehr auf die Spitze getrieben mit so vielen Lügen, die sich alle auf einmal offenbaren. Einer dieser Punkte für sich wäre realistisch, in der Anhäufung, was sich am Ende offenlegt, erscheint es etwas konstruiert. Das gilt erst recht für den letzten Satz, der noch einmal eine schockierende Andeutung präsentieren will, gerade für regelmäßige Leser des Genres aber sehr abgedroschen erscheint. Ein bisschen schade ist zudem, dass sich Alma nur bedingt als Sympathiefigur eignet, zu sehr distanziert man sich durch ihre deutliche Bevorzugung Sanders gegenüber Iris in der Vergangenheit.

Etwas verwirrend ist zudem die Erwähnung, dass die 2007 in Portugal verschwundene Madeleine McCann inzwischen sechs Jahre alt sein würde - wenn man davon ausgeht, dass die Handlung etwa zur Erscheinungszeit des Romans spielt, wäre sie zu dem Zeitpunkt bereits elf gewesen. Möglicherweise ein Übersetzungsfehler ist die Aussage, jemand sei wegen Pädophilie verurteilt worden, gemeint ist wohl Kindesmissbrauch.


Fazit:

"Anders" von Anita Terpstra ist ein spannender und kurzweiliger Thriller mit reizvoller Grundthematik, der zu einer schnellen Lektüre einlädt. Von kleinen Kritikpunkten abgesehen, erwartet den Leser hier mehr als nur solide Unterhaltung - empfehlenswert für alle Thrillerfans.

24. August 2016

Die Schwere des Blutes - Laura McHugh

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Limes
Seiten: 400
Buchhandel.de
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Die Autorin:

Laura McHugh, aufgewachsen in Iowa und Missouri, arbeitete nach ihrem Studium der Bibliothekswissenschaft als Bibliothekarin und Softwareentwicklerin. Vor ihrem Debütroman "Die Schwere des Blutes" veröffentlichte sie bereits mehrere Kurzgeschichten.

Inhalt:

Das Städtchen Henbane, tief in den Bergen von Missouri: Sechzehn Jahre ist es her, dass die schöne und geheimnisvolle Lila spurlos verschwand. Lucy hat kaum Erinnerungen an ihre Mutter, sieht ihr aber von Jahr zu Jahr ähnlicher. Und plötzlich verschwindet wieder eine junge Frau - Lucys Schulfreundin Cheri.

Ein Jahr später wird Cheris Leiche gefunden, übersät mit Tattoos und Brandmalen. Das geistig leicht zurückgebliebene Mädchen muss noch Monate nach dem Verschwinden gelebt haben, irgendwo in Gefangenschaft. Lucy braucht Ablenkung von dieser furchtbaren Sache und nimmt einen Ferienjob im Diner ihres Onkels Crete an. Der Job bedeutet nicht nur Geld, sondern auch gemeinsame Zeit mit ihrem Schwarm Daniel, der ebenfalls in den Ferien dort arbeitet.

Beim Reinigen eines alten Trailers auf Cretes Grundstück entdeckt Lucy eine Kette, die sie einst Cheri geschenkt hat. Cheri muss vor ihrem Tod also hier gewesen sein - wurde sie womöglich in diesem Trailer gefangen gehalten? Lucy will herausfinden, was mit ihrer Freundin geschehen ist, wer den Trailer zuletzt gemietet hat. Gibt es womöglich sogar einen Zusammenhang mit dem Verschwinden ihrer Mutter damals? Bei ihren Nachforschungen stößt Lucy auf düstere Geheimnisse der Bewohner ...

Bewertung:


Laura McHughs erster Roman, der 2015 den Thriller Award in der Kategorie "Bestes Debüt" gewann, verbindet eine bewegende Familiengeschichte mit kriminalistischen Verwicklungen, und das insgesamt in ansprechender Weise.

Die Handlung entfaltet sich auf zwei Zeitebenen: Zum einen steht die Gegenwart um die siebzehnjährige Lucy im Mittelpunkt, die sich auf der Wahrheit um den Tod ihrer Freundin Cheri auf gefährliches Terrain begibt. Zum anderen führt ein Strang den Leser gut sechzehn Jahre zurück in die Vergangenheit. Hier erzählt die junge Lila, wie sie zum Arbeiten nach Henbane kam, wie ihre exotische Schönheit ihr zum Verhängnis wurde, wie sie dennoch mit Carl und ihrer Tochter das Glück fand, ehe sie auf mysteriöse Weise verschwand. Es ist vor allem dieser Strang in der Vergangenheit, der zu fesseln und anzurühren versteht. Neue Einwohner haben es in Henbane schwer, erst recht, wenn sie so schön und geheimnisvoll sind wie Lila. Rasch ranken sich die wildesten Gerüchte um sie, sie sei eine Hexe, heißt es immer wieder, und der Aberglaube und das Misstrauen der Einwohner bereiten diesen Gerüchten einen fruchtbaren Boden. Harte Arbeit, abgeschiedenes Leben, ein allgemeiner Unwille gegenüber allem Neuen und Fremden zeichnet den Ort aus und wird Lila zum Verhängnis.

Schon bald zeichnet sich ab, dass Lilas Arbeitgeber Crete mehr als eine Hilfe auf dem Feld und im Imbiss in Lila sieht, und das unglückselige Dreiecksverhältnis aus Lila, Crete und seinem Bruder Carl zieht sich immer enger zusammen. Neben Lila sind auch Carl und Birdie Snow sympathische Charaktere, beide mit Ecken und Kanten ausgestattet. Carl liebt Lila und ist bereit, viel für sie zu tun, Lila spürt jedoch auch seine Verbundenheit zu seinem Bruder Crete und zweifelt, ob er diese jemals in Frage stellen würde. Die alte Birdie Snow ist die ehemalige Gehilfin eines Landtierarztes, die aufgrund ihrer Naturheilkunde gerne statt eines Arztes zu Rat gezogen wird. Birdie wird für Lila eine der wenigen Vertrauten, doch bevor sie die junge Frau näher kennenlernt, ist auch sie nicht ganz frei von gewissen Vorbehalten. Die Vergangenheitshandlung zeichnet sich durch eine intensive Atmosphäre aus, in der sich das Unheil zwar bereits früh am Horizont ankündigt, allerdings lange Zeit ohne konkret greifbar zu sein.

Demgegenüber fällt die Gegenwartshandlung ein wenig ab. Das liegt schon allein daran, dass hier die Charaktere weniger charismatisch sind. Lucy, die hier meist als Ich-Erzählerin fungiert, bleibt blasser als ihre faszinierende Mutter, Carl ist weniger präsent, Lucys Schwarm Daniel wirkt beliebig. Am interessantesten ist hier Crete, der in der Vergangenheitshandlung überwiegend schmierig und bedrohlich wirkt, in der Gegenwartshandlung aber offenbar seiner Nichte Lucy emotional sehr verbunden ist. Die meisten Kapitel werden entweder aus Lilas oder aus Lucys Sicht erzählt, allerdings gibt es auch immer wieder Abschnitte, in denen personale Erzähler andere Figuren beleuchtet. Das ist teilweise etwas übertrieben, manche dieser Kapitel verraten etwas zu viel über diese Charaktere.

Die Handlung arbeitet langsam, aber sicher auf die Klärung der Fragen hin, was mit Lila und Cheri geschehen ist und wie die beiden Fälle zusammenhängen, trotz der großen Zeitspanne dazwischen. Es gibt keinen bemerkenswerten Überraschungseffekt am Ende; überhaupt ist es kein Werk, das Hochspannung bietet. Der Fokus liegt vielmehr auf knisternder Atmosphäre, einer melancholischen Stimmung mit vereinzelten idyllischen Momenten, eingebettet in einen flüssigen Stil mit anschaulichen Landschaftsbeschreibungen. Eine gewisse Geduld wird dem Leser abverlangt, wer Action sucht, ist mit diesem Roman gewiss schlecht bedient. Grundsätzlich aber bietet das Werk ein paar Stunden sehr solides Lesevergnügen, wenn man solche Bücher mag.

Fazit:

Mit "Die Schwere des Blutes" ist Laura McHugh ein insgesamt gelungenes Debüt geglückt. Der Roman verbindet auf zwei Zeitebenen eine intensive Atmosphäre mit einer bewegenden Handlung und präsentiert einige reizvolle Charaktere, wenngleich die Gegenwartshandlung nicht ganz die Klasse der Vergangenheitshandlung erreicht.

8. August 2016

Das Spiel (Opfer - Band 1) - Jeff Menapace

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Heyne Hardcore
Seiten: 400
Buchhandel.de
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Der Autor:

Jeff Menapace (USA) erlangte gleich mit seinem Debütroman "Das Spiel" den Durchbruch als Horrorautor; zwei weitere Bände folgten nach. 2011 erhielt er den Red Adept Reviews Indie Award. Ansonsten ist er Fan der Three Stooges, liebt den Originalfilm "The Texas Chainsaw Massacre" und hasst Spinnen.

Inhalt:

Das Ehepaar Patrick und Amy Lambert freut sich auf ein gemütliches Wochenende mit seinen Kindern, der sechsjährigen Carrie und dem vierjährigen Caleb, am idyllischen Crescent Lake in Pennsylvania. Angeln, Spaziergänge, gutes Essen und nettes Plaudern mit den Hütten-Nachbarn Lorraine und Norm - das sind die Pläne der Familie.

Auf der Hinfahrt macht Patrick eine seltsame Begegnung an einer Tankstelle. Ein jovialer Fremder verwickelt ihn zunächst in ein Gespräch, um anschließend seine Benzinrechnung zu übernehmen. Amy ist der aufdringliche Fremde unheimlich, erst recht, als sie ihn kurz danach wiedertreffen und er Carries Puppe gegen einen Lutscher eintauscht. Schließlich wird Amy in einem Supermarkt von einem weiteren Fremden sexuell belästigt.

Die Lamberts sind durch die Vorkommnisse beunruhigt, doch sie ahnen bei Weitem nicht das Ausmaß, das ihnen bevorsteht. Die Brüder Arty und Jim Fannelli lieben es, sich Opfer für ihre perversen Spiele zu suchen, sie körperlich und seelisch bis aufs Äußerste zu quälen. Die Lamberts haben sie als ihre neusten Mitspieler auserkoren und verfolgen sie bis zu ihrem Ferienhaus ...

Bewertung:

Der Film "Funny Games" und der Autor Richard Laymon sollen laut Rückseitentext die Richtung vorgeben, in die sich dieser Roman begibt - und grundsätzlich liegt der Verlag damit auch richtig.

Der erste Teil der "Spiel"-Trilogie von Jeff Menapace ist ein recht brutaler Horrorthriller mit zwei sadistischen Psychopathen, die Jagd auf eine typisch amerikanische Durchschnittsfamilie machen. Ganz so nervenaufreibend und provokant wie "Funny Games" (insbesondere das Original mit dem wunderbaren Schauspieler-Ehepaar Ulrich Mühe und Susanne Lothar) ist das Werk allerdings nicht; und auch der Splatterfaktor und die sexuellen Ausschweifungen der Richard-Laymon-Romane werden nicht erreicht, was je nach Lesergeschmack auch ein Vorteil sein kann. Zudem nimmt sich das Werk Zeit für den Aufbau. Der Leser lernt zunächst die Lamberts ausführlich kennen, um auch ganz sicher mit ihnen zu sympathisieren. Das gelingt grundsätzlich, wobei letztlich keiner der Figuren wirklich im Gedächtnis bleibt; die Lamberts sind nett und freundlich, aber eben auch durchschnittlich und recht beliebig. Amy ist dreiunddreißig, Patrick achtunddreißig, und die beiden sind, wie immer wieder betont wird, auch nach vielen Jahren Ehe sehr verliebt ineinander. Der kleine Caleb ist ruhig und naiv, seine ältere Schwester ein bisschen eigensinniger und widerspenstiger. Trotz kleiner Querelen strahlt diese Familie Harmonie aus, vielleicht ein bisschen zu sehr; ein paar Ecken und Kanten hätten den Lamberts jedenfalls nicht geschadet.

Das mörderische Brüderpaar Arty und Jim tritt früh ins Bild, und der Leser erhält Einblick in ihre Pläne und Phantasien; es dauert jedoch lange, bis die beiden wirklich zuschlagen. Das baut eine gewisse Spannung auf, kann die Geduld manchen Lesers aber auch strapazieren. Gewissenlos und bar jeglichen Mitgefühls für ihre Opfer sind sie beide. Während der etwas ältere Arty aber etwas besonnener auftritt, verliert Jim schneller mal die Kontrolle. Vor allem ist Jim deutlich mehr auf die sexuelle Seite des Spiels fixiert und hat in Amy ein besonders reizvolles Opfer gefunden.

Es ist recht spannend, zu verfolgen, wie sich das "Spiel" entwickelt, welche physischen wie psychischen Quälereien sich die unheilvollen Brüder für die Lamberts ausgedacht haben und wie diese reagieren. Natürlich steht im Vordergrund die Frage, ob die Lamberts das Martyrium überleben und ob ihnen vielleicht die Flucht oder gar eine erfolgreiche Gegenwehr gelingt. Das Buch schenkt seinen Lesern einige Stunden gute Unterhaltung, liest sich flüssig und ist generell für alle Freunde von Horrorthrillern zu empfehlen. Wer wirklich harte Kost erwartet, die den Genrekenner schockiert, wird indessen enttäuscht werden; an die Härte von Richard Laymons Werken oder auch an Bret Easton Ellis' "American Psycho" reichen die Grausamkeiten nun doch nicht heran. Neben den etwas zu flachen Charakteren kann man auch die eine oder andere konstruierte Szene kritisieren, die bestimmte Entwicklungen erst ermöglicht. Bisweilen verhalten sich manche Figuren nicht in naheliegender Weise, was für die Handlung praktisch ist, aber etwas zu simpel wirkt. Das Ende präsentiert schließlich noch eine Wendung, die allerdings für Genrekenner nicht wirklich überraschend ist und längst nicht so schockierend ist, wie es wohl sein soll.

Fazit:

"Opfer", der erste Teil der "Spiel"-Trilogie von Jeff Menapace, ist ein unterhaltsamer Horrorthriller, eine schnelle und flüssige Lektüre für zwischendurch mit einer gewissen Spannung. Die Charaktere sind allerdings nicht sonderlich einprägsam, und es gibt ein paar konstruierte Szenen. Alles in allem ein guter Roman, der neugierig auf den zweiten Teil macht, sofern man nicht mit allzu hohen Erwartungen herangeht.

6. August 2016

The Walking Dead - Die Zuflucht (Band 3)

Produktinfos:

Ausgabe: 2006
Seiten: 136
Buchhandel.de
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Der Autor:

Robert Kirkman, Jahrgang 1978, veröffentlichte zu Halloween 2003 das erste Heft der Reihe "The Walking Dead". Mittlerweile erschienen mehr als 150 Hefte, seit 2010 läuft die sehr erfolgreiche TV-Serie dazu. Weitere Comicreihen, an denen Kirkman als Autor beteiligt war, sind z. B. Battle Pope, Dieb der Diebe, Tech Jacket und Ultimate X-Men.

Inhalt:

Nachdem Ricks Gruppe Hershels Farm nach einigen Unstimmigkeiten auf dessen Wunsch verlassen musste, suchen sie nach einer neuen Bleibe. Sie entdecken eine Gefängnisanlage, die ihnen ideal als neues Zuhause erscheint - wenn das Gelände und die Gebäude erst einmal von den Zombies gesäubert sind.

Nachdem sie die Zombies auf dem Hofgelände getötet haben, untersuchen sie die Innenräume. Dabei stoßen sie auf vier Überlebende - vier Insassen, die sich hier seit dem Ausbruch der Katastrophe verstecken. Dexter, Andrew, Axel und Thomas verhalten sich freundlich gegenüber Ricks Gruppe und versorgen sie mit den reichlichen Vorräten des Gefängnisses, doch Ricks Leute bleiben misstrauisch.

Vor allem Lori gefällt der Gedanke nicht, dass vier Verbrecher mit ihnen leben sollen - zumal Lori in einigen Monaten ihr Baby erwartet. Die Vorteile des neuen Heims überwiegen jedoch, sodass Rick schließlich Hershel und seine Familie nachholt, damit sie mit ihnen dort leben - zudem kann Hershel mit seinen Farmerkenntnissen beim Anbau von Nahrungsmitteln helfen. Während die Untoten mit der Zeit ein kleineres Problem darstellen, da die Zäune sie fernhalten, gibt es Konflikte mit den Insassen ...

Bewertung:

Der dritte Sammelband steht ganz im Zeichen des Gefängnisses, das für eine längere Zeit (sprich: mehrere Sammelbände) das neue Zuhause für Ricks Gruppe wird.

Die Entdeckung war freilich ein Zufall, doch logisch betrachtet, ist ein verlassenes Gefängnis die ideale Unterkunft während einer Zombie-Apokalypse: Die Zäune und Mauern halten die Untoten fern, es gibt ausreichend Räume für alle Gruppenmitglieder, es gibt reichlich Vorräte in Form von Dosennahrung, und später können Rick und seine Freunde sogar dank Sportraum und Bibliothek endlich etwas Zerstreuung finden. Zum ersten Mal seit Beginn der Katastrophe erfahren die Überlebenden einen Hauch von Normalität. Natürlich ist das Gefängnis kein heimeliger, geschweige denn luxuriöser Ort. Aber es gibt Nahrung, die Kleidung kann gewaschen werden, und es gibt sanitäre Anlagen. Vor allem erfährt die Gruppe auch endlich einmal Privatraum, während sie zuvor regelmäßig ihre Nächte gemeinsam in Dales Wohnmobil verbringen musste. Weiterhin erscheint Hershel in diesem Band versöhnlicher; er ist zwar nicht ganz die liebenswerte Vaterfigur wie in der TV-Serie, aber deutlich sympathischer und gemäßigter als noch im zweiten Band auf der Farm.

Vereinzelt gibt es auch witzige und herzerwärmende Szenen, etwa wenn Carl Sophia gesteht, sie sei "pretty and stuff" und dass sie Händchenhalten könnten, was Sophia sehr entzückt. Des Weiteren spielt die Zombie-Gefahr im Vergleich zu den beiden vorherigen Bänden eine verhältnismäßig geringe Rolle. Zwar muss die Gruppe auf vereinzelte Zombies achten, die sich in den noch unkontrollierten Räumen befinden können, aber sie müssen sich - nach der Säuberungsaktion auf dem Außengelände - nicht mehr mit Horden auseinandersetzen.

Dafür geht die Gefahr jetzt von anderen Menschen aus. Bislang hatten Rick und seine Gruppe Glück mit den Leuten, auf die sie trafen. Tyreese wurde schnell zu einer wichtigen Unterstützung für Rick, mit Hershel gab es zwar Differenzen, die sich aber beilegen ließen. Die vier inhaftierten Männer sind zunächst eine Unbekannte für die Gruppe, und auch der Leser kann sie nicht leicht einschätzen. Da ist einmal der muskulöse und dominant auftretende Dexter, der wegen Mordes an seiner Exfreundin und deren Liebhaber verurteilt wurde. Er versichert zwar, dass er unter anderen Umständen nie zu einem Mord fähig wäre, aber natürlich ist Ricks Leuten alles andere als wohl, einem Doppelmörder gegenüberzustehen. Dexter hat sich im Gefängnis mit Andrew eingelassen, einem schmächtigen, nervösen Exjunkie, der sich ihm gegenüber sehr devot verhält. Dann ist da der stille Thomas, der angeblich wegen Steuerbetrug sitzt, und schließlich Axel, ein älterer Mann mit langen weißen Haaren, der auf den ersten Blick leutselig erscheint. Für den Leser ist es sehr spannend zu verfolgen, wie sich diese vier im Handlungsverlauf entwickeln, wer von ihnen tatsächlich gefährlich ist und wer sich vielleicht in die Gruppe einfügt.

Trotz der relativen Sicherheit im Gefängnis gibt es ein paar Todesfälle, und es passieren dramatische Ereignisse. Rick glaubt aufgrund eines Vorfalls, in seiner Rolle als Anführer versagt zu haben; zudem erlebt man hier erstmals seine ungezügelte Wut, die sogar seinen Sohn Carl ängstigt. Nie zuvor wurde bislang so deutlich, wie wichtig Rick ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen und seiner Verantwortung gegenüber der Gruppe nachzukommen. Dabei zeigt er eine Konsequenz und Härte, die manche seiner Mitstreiter irritiert - und man ahnt nach diesem Band, dass sich die Irritationen und Konflikte um Ricks Entscheidungen noch steigern werden.

Ein bisschen Kritik kann man daran üben, dass sich eine Figur kaum nachvollziehbar verhält, selbst angesichts der Umstände. Es wäre zu viel gesagt, zu verraten, um wen und was es konkret geht; man kann jedoch vorwegnehmen, dass eine Person kurzfristig die Seiten wechselt. Man darf zwar in einer solchen Ausnahmesituation keine allzu engen Maßstäbe anlegen, trotzdem wirkt ihr Verhalten etwas konstruiert, wie um Erklärungen für bestimmte Ereignisse zu finden.

Charlie Adlards Schwarz-Weiß-Zeichnungen führen Tony Moores Werk, der den ersten Sammelband zeichnete, würdig fort. Adlards Stil ist etwas rauer und kantiger, die Hintergründe und auch die Zombies sind weniger detailliert, allerdings passt der etwas schmutzigere und gröbere Stil Adlards noch besser zur Handlung.

Fazit:

Sehr guter dritter Sammelband der Walking-Dead-Comics, der mit dem Gefängnis ein neues, reizvolles Setting bietet. Es gibt aufgrund der abgeschirmten Lage weniger Zombie-Kämpfe, dafür umso mehr Konflikte mit anderen Menschen, was nicht weniger spannend ist.