30. Dezember 2017

Stalker - Louise Voss/Mark Edwards

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei btb
Seiten: 416
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Die Autoren:

Louise Voss und Mark Edwards aus London veröffentlichten ihren ersten gemeinsamen Thriller "Fieber" zunächst im Eigenverlag. Der Roman entwickelte sich zum Sensationserfolg. Mit "Stalker" folgte die zweite Zusammenarbeit.

Inhalt:


Vor Jahren hat Siobhan ihren ersten und bisher einzigen Roman veröffentlicht - der große Durchbruch ist ihr damit noch nicht geglückt, und für einen weiteren Roman fehlt ihr die Inspiration. Um sich finanziell über Wasser zu halten, arbeitet sie als freie Journalistin und gibt Schreibkurse.

In ihrem Schreibkurs sitzt auch der junge Alex. Vom ersten Blick an ist er fasziniert von seiner Dozentin und träumt davon, sie näher kennenzulernen. Er schickt ihr eine überschwängliche Kritik zu ihrem Buch, schleicht um ihr Haus herum und beschafft sich schließlich einen Zweitschlüssel. Während Siobhans Abwesenheit spioniert er ihr Zuhause aus, um seiner Angebeteten möglichst nahe zu sein.

Siobhan ahnt mit der Zeit, dass etwas bei ihr zu Hause nicht stimmt, ohne den genauen Grund zu erkennen. Alex' Besessenheit steigert sich immer weiter - bis es eines Tages zu einem Todesfall kommt ...

Bewertung:

Die zweite Gemeinschaftsarbeit von Louise Voss und Mark Edwards ist ein recht unterhaltsamer, aber nicht überdurchschnittlicher Thriller. Abwechselnd werden die Tagebucheinträge von Siobhan und Alex präsentiert, und der Leser erfährt das Geschehen aus der jeweiligen Perspektive. Die Handlung beginnt als recht konventionelle Stalking-Geschichte: Alex sieht in Siobhan die große Liebe, obwohl er sie kaum kennt; er ist von einer Seelenverwandtschaft überzeugt, und er interpretiert ihr Verhalten häufig falsch. Dabei wird er auch kriminell, etwa wenn er sich in ihrer Wohnung herumschleicht - immer in der Überzeugung, dass er bald ja ohnehin Siobhans Lebensgefährte wird. Spannung ist durchaus gegeben, schließlich möchte man erfahren, wie weit Alex mit seinem Stalking geht, wie Siobhan reagiert und welche Konsequenzen der Todesfall nach sich zieht.

Auch die beiden unterschiedlichen Perspektiven haben ihren Reiz - man kann zwar Alex' Handlungen schwerlich gutheißen, doch man kann zumindest ein wenig die Gedanken des naiven, verliebten jungen Mannes nachvollziehen. Alex meint es nicht böse, er will Siobhan nicht verängstigen oder gar verletzen, steigert sich aber immer drastischer in seine Obsession hinein. Dabei ist gerade reizvoll, dass Alex auf den ersten Blick recht attraktiv und sogar sympathisch wirkt; er ist niemand, dem man Stalking zutrauen würde, was ihn in der Hinsicht zu einer interessanten Figur macht.

Die Tagebucheinträge lesen sich aber von beiden Charakteren konstruiert. Beide wirken nicht wie echte Tagebucheinträge, sondern wie für ein Publikum geschrieben; dazu ist es kaum glaubhaft, dass jemand ständig die aktuellen Ereignisse beinah live einträgt, und das auch noch in dieser Ausführlichkeit.

Eine weitere Schwäche liegt in der bemerkenswerten Wendung, die die Handlung in der zweiten Hälfte unternimmt. Diese Wendung mag zwar originell und eher unerwartet sein, aber sie erscheint auch unglaubwürdig. Das gilt ebenfalls und erst recht für das Ende. Schade ist außerdem, dass im Prolog bereits verraten wird, wer sterben wird, auch wenn man noch nicht die genauen Hintergründe kennt.

Fazit:

"Stalker" von Louise Voss und Mark Edwards ist ein grundsätzlich unterhaltsamer Thriller, der allerdings unter ein paar Unglaubwürdigkeiten leidet. Sofern man die Thematik mag und keine hohen Ansprüche hat, bekommt man für ein paar Stunden solide Lektüre geboten.

20. Dezember 2017

Gute Töchter - Joyce Maynard

Produktinfos:

Ausgabe: 2015 bei HarperCollins Germany
Seiten: 352
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Die Autorin:

Joyce Maynard (USA), Jahrgang 1953, begann in den Siebzigern ihre journalistische Karriere beim New York Times Magazine. Ein Jahr lang war sie mit dem populären Autor J. D. Salinger liiert, was sie in ihren Memoiren "Tanzstunden. Mein Jahr mit Salinger" literarisch verarbeitete. Ihr Werk "To Die For" wurde mit Nicole Kidman und Joaquin Phoenix verfilmt. Weitere Romane sind: Die Guten, Das Leben einer anderen und Der Duft des Sommers.

Inhalt:

Rachel und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Patty wachsen in den siebziger Jahren in einer Kleinstadt bei San Francisco auf. Nach der Trennung ihrer Eltern bleiben sie bei der Mutter, doch sie vergöttern ihren Vater, einen Detective, immer noch. Sowohl Rachel als auch Patty sind Außenseiterinnen, die die meiste Zeit unter sich bleiben und sich phantasievolle Spiele und Geschichten ausdenken.

In jenem Sommer 1979, als sie dreizehn und elf Jahre alt sind, beginnt eine Serie von Frauenmorden am nah gelegenen Berghang. Ihr Vater übernimmt die Ermittlungen, und plötzlich erfährt vor allem Rachel Aufmerksamkeit von Mitschülern. Obwohl ihr Vater ihnen keine Details zu dem Fall verrät, befassen sich die Schwestern immer intensiver mit dem "Sunset Strangler".

Getrieben vom Wunsch, ihren Vater zu beeindrucken, spionieren Rachel und Patty in der Gegend herum, sammeln Informationen aus den Medien und spekulieren über den Täter. Was als aufregender Zeitvertreib beginnt, verselbständigt sich in den folgenden Monaten immer mehr - bis die Mädchen dem Täter viel zu nahe kommen ...

Bewertung:

Zwar dreht sich Joyce Maynards "Gute Töchter" zum großen Teil um einen Serienmörder, dennoch handelt es weniger um einen Krimi oder Thriller. In erster Linie erzählt der Roman einfühlsam und bewegend, mal humorvoll und mal melancholisch von einer intensiven Schwesternbeziehung.

Rund dreißig Jahre nach jenem verhängnisvollen Sommer erzählt Rachel rückblickend von den aufregenden, lustigen, verwirrenden und erschreckenden Ereignissen und Erkenntnissen der damals elf- und dreizehnjährigen Mädchen. Die erste Hälfte konzentriert sich vorwiegend auf die geradezu symbiotische Beziehung der Schwestern zueinander. Die ältere Rachel ist die bestimmendere von beiden, der Patty wie ein treues Hündchen folgt. Im Gegenwart anderer ist Patty die stille Schwester, die aber in trauter Zweisamkeit wie ein Wasserfall plappert. Da ihre Mutter nach der Trennung vermehrt in Depressionen versinkt, durchstreifen die Mädchen gewöhnlich alleine die Gegend.

Besonders gern hocken sie sich abends vor die Fenster der Nachbarn, um in den Genuss des Fernsehprogramms zu kommen - wobei sie sich mangels Ton die Handlung zurechtphantasieren, was zu amüsanten Konstruktionen führt. Eine weitere intensive Beschäftigung ist die Observierung ihres Nachbarn Mr. Armitage, die in einer erstaunlichen Erkenntnis resultiert. Auch erste Schwärmereien und Spekulationen über das vollkommen fremde Terrain der Sexualität gehören zu den Themen dieses Sommers, ebenso wie Pattys neuentdecktes außergewöhnliches Basketball-Talent. Das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt der späten siebziger Jahre wird in diesen Kapiteln lebendig; Patty und Rachel sind zwei äußerst sympathische und liebenswerte Charaktere, die der Leser sogleich ins Herz schließt, an deren Schicksal er intensiv teilnimmt.

Es ist die Geschichte zweier Schwestern, die bedingungslos einander, aber auch ihren Vater lieben - den charmanten italienischstämmigen Detective Anthony Torricelli mit der Ausstrahlung eines Filmstars, der seine Töchter in James-Bond-Filme ausführt und viel gelassener als andere Väter ihre Flausen betrachtet. In der zweiten Romanhälfte nimmt die Suche nach dem Frauenmörder einen zunehmend breiteren Platz ein.

Für die Schwestern ist es keine Frage, dass ihr Vater der beste Ermittler ist und dem "Sunset Strangler" auf die Spur kommen wird; doch der Fall erweist sich als äußerst knifflig. Anfangs wird Anthony Torricelli noch von der Öffentlichkeit hofiert als der Mann, der sicher bald die Mordserie beenden wird. Mit jedem weiteren Mord aber nimmt die Kritik zu; Rachel beobachtet besorgt, dass ihr Vater immer dünner und müder wird. Eine wichtige Rolle spielen Rachels sporadische "Visionen", Déjà-vu-artige Ahnungen, die sich manchmal bewahrheiten. Rachel versucht, diese Visionen bewusst hervorzurufen, um Details zu dem Mörder zu erfahren, die ihrem Vater helfen könnten. Das Werk ist zwar nicht als Spannungsroman konzipiert, doch spätestens in der zweiten Hälfte geht es nicht nur atmosphärisch, sondern auch fesselnd zu. Gebannt verfolgt man die Ermittlungen der Mädchen, die anfangs niedlich zu beobachten sind und später gefährlich werden. Unbedingt möchte man erfahren, ob der Mörder gefasst wird, ob die Mädchen dazu beitragen, was ihre Ermittlungen für Folgen für sie haben.

Im Gegensatz zum leichteren ersten Teil liegt zunehmend Melancholie auf der zweiten Romanhälfte - und am Ende wird wohl jedem Leser das Herz ein bisschen schwer. Das ist ein bisschen schade, passt allerdings zur Handlung; man darf eben trotz der zahlreichen poetischen und humorvollen Momente keinen reinen Wohlfühlroman erwarten.

Fazit:

Joyce Maynard ist mit "Gute Töchter" ein sehr bewegender, einfühlsamer, teils melancholischer und teils auch sehr amüsanter Roman gelungen, der noch lange nach der Lektüre nachwirkt.